STANDARD: Zuerst eine allgemeine Frage ...
Lars von Trier: ... bitte so allgemein wie möglich!
STANDARD: "Manderlay" ist der zweite Teil Ihrer Amerika-Trilogie. Grace, die zentrale Figur, versucht darin, Sklaven zur Freiheit zu erziehen. Das misslingt. Worauf richtet sich Ihre Kritik? Auf den Idealismus als Weltanschauung?
Von Trier: Das ist die Geschichte, die ich nicht aufhöre zu erzählen: Sich über Idealismus lustig zu machen scheint meine größte Herausforderung zu sein. Das hat eigentlich nicht spezifisch mit Amerika zu tun. Man kann das zwar so sehen. Aber ich glaube, ich mache meine Sicht recht deutlich: Ich hätte den Film in Amerika drehen können. Ich hätte den Schauplatz mehr wie das reale Amerika aussehen lassen können. Aber alles spielt immer noch auf einem schwarzen Boden.
STANDARD: Sie waren noch nie selbst in den USA. Von welchen Bildern gehen Sie aus? Die Gangster aus "Dogville" und "Manderlay" scheinen aus dem Kino zu kommen.
Von Trier: Ich kann dazu vielleicht eines sagen: "Dogville" und "Manderlay" haben für mich den Geschmack von Amerika. Alabama, wo "Manderlay" spielt, ist für mich als Europäer das essenzielle Amerika. Die fantastische Seite des Landes, die Sie erwähnt haben, findet sich in meinen Filmen eher in einer cartoonhaften Weise wieder. Die Orte sind nicht natürlich – ich versuche eher eine Stimmung zu treffen, die für mich vielmehr mit der Idee Amerikas zu tun hat. Eine Atmosphäre, wie in einem Roman von John Steinbeck.
STANDARD: Wenn Demokratisierung misslingt, denkt man dennoch unweigerlich an den Irak. Sind diese politischen Referenzen ungewollt?
Von Trier: Mir ging es keinesfalls darum, die USA zu attackieren. Die Menschen in "Manderlay" sind genauso blöd wie in meinen anderen Filmen. Natürlich empfinde ich die Demokratie als Problem, obwohl ich keine Alternative zu ihr sehe. Es wäre ja auch extrem provokant, wenn ich das behaupten würde. Aber vermutlich gibt es doch mehr als Demokratie auf der einen und Diktaturen auf der anderen Seite – anders, als die meisten Menschen das sehen. Es reicht schon, Demokratie zu hinterfragen, um als Nestbeschmutzer zu gelten. Das empfinde ich als gefährlich.
STANDARD: In "Dogville" war Grace noch ein Opfer, nun wandelt sie sich zur Autorität.
Von Trier: Ich hatte die Figur des Opfers schon etwas satt. Das Opfer funktioniert ja immer. Und das weibliche Opfer besonders gut. Es ist umso eindringlicher, je schwächer es ist. Ein Kind wäre noch besser. Man kann den Zuschauer damit leicht fesseln. "Manderlay" ist insofern intellektueller, als es weniger um Gefühle geht. Der Film wurde ja von einer historischen Geschichte inspiriert. Frei gelassene Sklaven baten darum, wieder Sklaven sein zu dürfen.
STANDARD: Sie beziehen sich auf Jean Paulhans Vorwort zur "Geschichte der O.". Der Titel lautet "Das Glück in der Sklaverei" – ein Entwurf zum Masochismus.
Von Trier: Auch in der "Geschichte der O." geht es um Masochismus. Meine Geschichte streift das nur – zumindest was die Sklaven betrifft. Es wäre wohl zu weit hergeholt gewesen, die Geschichte eines masochistischen Glücks auf Amerikas Sklaven zu übertragen. Die hatten überhaupt keine Chance. Grace dagegen ist masochistischer.
STANDARD: Sie hat diese sexuellen Fantasien über den wilden schwarzen Mann.
Von Trier: Das fand ich sehr lustig. Diese Seite der Sexualität wird ja gerne ausgeklammert. Sie ist Tabu. Ich fand es originell, eine schöne, junge Frau an Fantasien leiden zu lassen, die sie nicht für rein hält. Es gibt dazu einen sehr guten Satz einer dänischen Feministin: Wie sollen wir über Feminismus sprechen, wenn zwei Drittel von uns Masochistinnen sind? – Sie hat ein ganzes Buch darüber geschrieben. Sehr spannend. Die Dänischen Feministinnen haben es natürlich gehasst. Masochismus ist Teil der Sexualität – der unterwürfige Part steckt doch in uns allen.
STANDARD: Apropos Tabus: Sie lieben die Rolle des Provokateurs und haben stets Spaß daran, unpopuläre Ideen in ihren Filmen zu platzieren.
Von Trier: Ich leide natürlich an den gleichen Tabus wie jeder andere auch. Es ist meine eigene Bequemlichkeit, die ich aufrütteln will. Ich denke mir etwa eine kluge Situation aus, die mich dazu bringt, meine Kinder töten zu wollen. Das Problem daran ist, dass man das natürlich nicht tun darf. Niemals. Aber solche Paradoxien existieren in unserer Gesellschaft. Es ist ein Gedankenspiel, wenn Sie so wollen. Die Provokation richtet sich gegen mich selbst.
STANDARD: Haben die Regeln, die Sie sich auferlegen, einen ähnlichen Zweck?
Von Trier: In allen Kunstformen geht es darum, Regeln aufzusetzen. Man nennt das oft Stil, aber im Prinzip sucht man eine Reduktion der vorhandenen Mittel. Seltsamerweise gilt das im Film mehr als in anderen Formen als Tabu, weil er als freie Kunst aufgefasst wird. Das halte ich für naiv. Nichts ist frei. Und wenn es so wäre, müsste ich es für uninteressant halten.
STANDARD: Sie haben sich in Ihren Filmen stets neu orientiert und die ästhetischen Paradigmen geändert. Sehen Sie da eine innere Logik?
Von Trier: Ich antworte Ihnen, indem ich erzähle, was ich als Nächstes plane. Ich habe gerade eine kleine Komödie geschrieben. Zu Beginn war ich mir sicher, dass ich sie auch mit Handkamera drehen werde. Nun will ich sie mit statischer Kamera umsetzen. Da lachen Sie jetzt natürlich ... Aber ich habe herausgefunden, wie ich ein Problem bewältigen kann. Im Unterschied zur Handkamera ist bei einer fixierten Kamera der Bildrahmen klar vorgegeben. Nun habe ich allerdings eine neue Technik entwickelt, mit der ich eine gewisse Information in den Computer eingebe – einen Punkt im Raum und eine Blickrichtung –, und eine mathematische Formel errechnet daraus die Linse, das Ausmaß der Beleuchtung etc. Neun Aspekte, die per Zufall entschieden werden. Ich will damit die Idee, das Bild bewusst schlecht zu kadrieren, umgehen. Es ist per Zufall schlecht.
STANDARD: Das klingt sehr interessant.