Leipzig/Wien - Der seit fast einem Jahr laufende Handel mit Ausstoßrechten für Kohlendioxid hat zunächst einmal zu milliardenschweren "windfall profits" für die europäische Strombranche geführt. So ist es Elektrizitätsunternehmen in den vergangenen Monaten gelungen, bis zu 50 Prozent ihrer (scheinbaren) Kosten für die neu benötigten Ausstoßrechte auf die Konsumenten abzuwälzen, sagen Experten unisono. Die Aufwendungen, die angeblich teilweise überwälzt worden sind, sind für die Versorger selbst aber gar nicht bzw. nur in geringem Umfang entstanden.

Vielen Energieversorgungs­unternehmen sei es gelungen, gratis erhaltene Emissionszertifikate in ihre Strompreise einfließen zu lassen, sagte der österreichische Energieregulator Walter Boltz am Dienstag bei einer Veranstaltung in Leipzig. "Man hat vergessen, dafür zu sorgen, dass Gratiszertifikate auch kostenlos weitergegeben werden müssen und warum sollten die Unternehmen das freiwillig tun?" Boltz plädierte dafür, Zertifikate künftig zu versteigern und die Erlöse in Klimaschutzprojekte fließen zu lassen. In der zweiten Periode des europäischen Stromhandels von 2008 bis 2012 - so viel steht bereits fest - werden aber höchstens 10 Prozent der Zertifikate versteigert.

Hoffnung auf ökonomischeres Verhalten

Seit Jahresbeginn 2005 müssen Schwerindustrie und Energiewirtschaft für jede Tonne klimaschädliches Gas, die sie an die Atmosphäre abgeben, Berechtigungen vorweisen, die sie entweder zugeteilt bekommen haben oder zukaufen müssen. Von dem System erhofft sich die EU ökonomischeres und klimafreundlicheres Verhalten durch die Unternehmen. In der laufenden ersten Periode (2005 bis 2007) wurden Ausstoßrechte in vielen Staaten relativ großzügig ausgeteilt, sodass auf Basis der Gratis-Zertifikate nur geringfügige Rückgänge oder gar Zuwächse bei den Emissionsmengen zu erwarten sind. Zu heutigen Preisen einer Tonne CO2 (gut 20 Euro) sind an Industrie und E-Wirtschaft für die Periode 2005 bis 2007 Rechte im Wert von mehr als 130 Mrd. Euro kostenlos verteilt worden.

Experten aus der Branche bestätigen den Befund im Grund, sind sich aber über das Ausmaß der dadurch verursachten Preiserhöhungen uneinig. Johannes Mayer von der österreichischen E-Control schätzt den Anteil, zu dem die Überwälzung gelungen ist, mit 30 bis 40 Prozent ein - also umgerechnet etwa 25 bis 30 Euro jährlich für jeden österreichischen Haushalt. Tobias Federico, unabhängiger Stromexperte in Deutschland, glaubt, das diese "Überwälzung" gar zu 50 Prozent gelungen ist.

Der Preisauftrieb betrifft den Großhandel in Europa. Untersuchungen, wie weit es der Industrie gelungen ist, die fiktive Kostenposition auf die Preise überzuwälzen, sind bisher noch nicht angestellt worden. Weitere Faktoren, die den Preis in die Höhe treiben, sind unter anderem der Öl- und Kohlepreis und ungünstige klimatische Umstände.

Langzeiteffekte erzielen

Stephan Illerhaus, der in Deutschland für die norwegische Statkraft tätig ist, unterstrich, dass Strompreiserhöhungen ja politisch gewollt seien - nur so sei der gewünschte Lenkungseffekt schließlich zu erzielen. Dies sei schon vor Jahren Experten von Investmentbanken erwartet worden; diese hätten Aktien von großen Stromversorgern zum Kauf empfohlen, "mit dem Hinweis, das diese vom Emissionshandel profitieren werden". Die von den Verbrauchern lukrierten höheren Gewinne der EVU würden nur zum Teil für Investitionen verwendet; ein anderer Teil werde wohl an die Anleger bzw. an die staatlichen Eigentümer ausgeschüttet, glaubt Illerhaus.

Er halte derlei Preiseffekte, weil politisch gewollt, für unvermeidlich, meinte Boltz am Dienstag bei einer Veranstaltung an der Leipziger Strombörse EEX sinngmäß. Wenn der Staat die zur Verfügung stehenden Zertifikate versteigere, sei "das Ergebnis (die Preiserhöhung, Anm.) das gleiche, aber man könnte die damit erzielten Mittel für Klimaschutzprojekte in anderen Bereichen verwenden". Darüber hinaus seien die Chancen neuer Player, Emissionsrechte zu ergattern, besser. (APA)