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Mit einem auf ein Jahr ausgelegten Projekt will BSA-Chef Caspar Einem der Frage nachgehen, was linke Politik sein kann. Über daraus abgeleitete Anregungen für die Praxis sprach er mit Samo Kobenter.
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STANDARD: Worum geht es in Ihrem Projekt?

Einem: Zum einen glaube ich, dass es wirklich Sinn macht, sich auch heute, in heutiger Sprache und in heutigem gesellschaftlichem und wirtschaftlichem Kontext die Frage zu stellen: Was wäre linke Politik unter den heutigen Bedingungen? Dazu haben wir im BSA verschiedene Leute eingeladen.

STANDARD: Was fragen Sie sie?

Einem: Zunächst, was es in ihren Augen heißt, ein Linker zu sein, was linke Politik ist. Weiter, ob das heute noch passt, ob es die Arbeiterbewegung noch ist, ob die Linke den Sozialismus anstrebt oder ob's eh nur um Reformen geht – und ob es eine andere Sprache braucht, um deutlich zu machen, wofür man eintritt.

STANDARD: Das sind die Fragen, die sich die SPÖ dauernd stellt.

Einem: Das sind Fragen von zentraler Bedeutung. Die Antwort, die für mich relativ deutlich ist, heißt, dass es für die Linke immer um mehr Gleichheit und gleiche Partizipationschancen gegangen ist.

STANDARD: Ist man nicht spätestens mit der Regierung Kreisky an einen Punkt gelangt, wo es nicht mehr weiterging?

Einem: Ich halte eine pragmatische und professionelle Politik, die für viele das Leben und die Chancen verbessert, noch heute für wirklich sozialdemokratisch. Der Punkt ist ja nicht, dass es primär darum geht, die absolute Wahrheit zu finden, und wenn man sie heute nicht findet, dann halt gar nichts zu nehmen und zu hoffen, dass es später geht.

STANDARD: Das war in den Siebzigerjahren möglich?

Einem: Das war ein historisches Fenster, wo es ein klares Konzept und eine charismatische Führungsfigur gegeben hat. Und es hat die Mehrheiten gegeben, die es erlaubt haben, ziemlich viel in einer verkrusteten Gesellschaft zugunsten von mehr Chancengleichheit aufzubrechen.

STANDARD: Was passierte dann?

Einem: Dreizehn Jahre in einer Alleinregierung gestalten zu können ist eine unglaublich lange Zeit. Das ist ziemlich gut gelungen, aber es laufen sich die programmatischen Reserven irgendwann tot.

STANDARD: War der Neokonservativismus nach Kreisky eine neue Perspektive?

Einem: Diese ganze Bewegung hat sich ja nicht so rasend schnell entwickelt. Die Wurzeln der Politik, die jetzt noch allenthalben Mainstream in Europa ist, liegen am Ende der Siebzigerjahre. Das ist die Periode, wo Reagan und Thatcher drangekommen sind. Es hat noch eine Weile gedauert, bis das zur Hauptreligion geworden ist. Ich sage bewusst Religion, weil das vielfach auf Glaubenssätzen und nichts anderem beruht.

STANDARD: Heißt was konkret für die SPÖ?

Einem: Erstens, dass wir programmatisch sehr klar aufgestellt sein müssen und Signale an die senden müssen, um die es uns geht. Das zweite ist die Frage des Transports. Aber vor allem geht es darum, Vertrauen bei denen zu erzeugen, die seit Jahren die Zeche zahlen.

STANDARD: Warum ist das nicht längst geschehen? Ist es nicht ein Resultat davon, dass 15 Prozent der Wiener Wähler zu Straches FPÖ gegangen sind?

Einem: Wenn wir wollen, dass diese Extremvariante weniger Chancen hat, müssen wir uns um die Leute dort kümmern, wo sie das Gefühl haben, im Stich gelassen zu werden. Zur ersten Frage: Nach dem großen Projekt der rot-schwarzen Koalition, Österreich in die EU zu führen, war das gemeinsame Ziel weg. Und es gab eine gewisse Müdigkeit in der Bevölkerung und die Bereitschaft, etwas anderes zu probieren. Das ist demokratisch in Ordnung und war in gewissem Umfang auch notwendig, damit wir nachdenken, was wir machen wollen und wie wir uns aufstellen.

STANDARD: Ist das gelungen?

Einem: Ja, und das ist eines der großen Verdienste des jetzigen Parteivorsitzenden.

STANDARD: Können Sie einige Beispiele geben?

Einem: Es geht erstens darum, durchaus flächig Antworten zu geben auf die Frage: Was würde die SPÖ gegen die zunehmende Armut tun? Zweitens: Viele von den Sicherungsmaßnahmen, die bereits vorhanden sind – bestimmte Mindestlöhne, die kollektivvertraglich gesichert sind und sozialstaatliche Leistungen –, sind relativ schlecht aufeinander abgestimmt. Und wir müssen dafür sorgen, und zwar in ganz Europa, dass die Bezieher mittlerer und kleiner Einkommen mehr Geld in der Hand haben und ausgeben. Jetzt sparen sie das Wenige, das sie haben, weil sie kein Vertrauen in die Zukunft haben. Man muss ihnen sagen: "Irgendwann ist Schluss, jetzt sind die Reformen gemacht, und jetzt geht es ein Stück weit vorwärts." (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 30.11.2005)