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Die Nestroy-PreisträgerInnen 2005 v.l.n.r.: Sunnyi Melles 'Beste Schauspielerin', Michael Heltau 'Lebenswerk', Erni Mangold 'Beste Nebenrolle' und Michael Maertens 'Bester Schauspieler'

Foto: APA/HERBERT PFARRHOFER
Strahlend über allem: Lebenswerk-Preisträger Michael Heltau

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Wien - Die Galafeier der Nestroy-Theaterpreis-Verleihung, heuer im Wiener Volkstheater vor beengenden Krähwinkel-Kulissen abgehalten, stiftet Zusammengehörigkeiten, die man nicht für möglich hält: die feierliche Vermählung von Hollywood und Amstetten, von Lack und Schmonzes.

In der Schlangengrube des heimischen Theaterbetriebs, wo man Eckzähne für gewöhnlich zu Dolchen spitzt, ist man einander für die Dauer eines Talmi-Abends demonstrativ gewogen. Man schlürft glücklich von der Galle, die Maria Bill und Michael Schottenberg als Moderatoren ausspenden (Texte: Ernst Molden). Man betrachtet fassungslos Theaterkünstler wie die verehrungswürdige Sunnyi Melles ("Beste Schauspielerin"), die vor Glück weint und den Preis ihrer verstorbenen Mutter widmet.

Das Durchgangshaus der Eitelkeiten ist immer auch ein Andachtsbecken, dazu bestimmt, das Herz der Theaterkünstler für alle zu öffnen: Wenn du dich als Theaterschaffender privat zeigst, so doch bloß als öffentlicher Mensch. Umso merkwürdiger nehmen sich Versuche aus, bundesdeutsche Gäste mit Proben von Weltläufigkeit in das heimische Urteilsvermögen vernarrt zu machen. Hinter so viel lauterer Freundlichkeit, mag man als geborener Österreicher denken, lauern womöglich Annexionswünsche.

Dank an Kriegenburg

Natürlich ist es interessant, Andreas Kriegenburgs Münchner Nibelungen-Produktion zur "besten deutschsprachigen Aufführung" zu küren - wenn man weiß, dass Kriegenburgs kluge Denkeskalationen die Wiener Burgtheaterbesucher noch vor fünf Jahren zu wahren Schreiorgien hinrissen. Im Off-Bereich, konferierte Maria Bill einmal, lebe man "von der Hand in den Mund. Im ,On'-Bereich", ergänzte sie, "von der Hand in den Bund." Das war als Anmerkung dann doch eher an die Selbstbeflecker als an den Kunststaatssekretär gerichtet.

Überraschungen gab es einige: Michael Maertens und Nicholas Ofzcarek erhielten ex aequo den Preis als "Beste Schauspieler", ausgerechnet "Ottokar" Tobias Moretti ging leer aus. Der Regie-Preis für Christoph Marthalers Totenmeditation Schutz vor der Zukunft ist so fraglos hochverdient, wie es dann doch auffällig ist, dass die abstimmungsberechtigten Akademiemitglieder Martin Kusejs Doppelnominierung geflissentlich übergingen. Und während Schottenberg und Bill das "Wurzen"-Dasein von Nebendarstellern mit seltsamen Eierwurf-und-Pfannen-Spielen unterstrichen, stellte die herrliche Erni Mangold ("Beste Nebendarstellerin") sehr treffend fest: "Das wäre ja auch geweint gewesen, wenn ich ihn nicht gewonnen hätte!"

Unter den weiteren Preisträgern punkteten vor allem Franzobel, dessen famoses '34er-Drama Hunt ebenso eine Statue davontrug wie die Serapions-Künstler Ulrike Kaufmann und Erwin Piplits ("Beste Ausstattung"), das Rabenhof-Theater ("Off"-Saisonpreis), Stefano Bernardin ("Nachwuchspreis") und das Freilufttheater Hausruck ("Regionale Initiative").

Einen Hauch wahrer, rarer Weltläufigkeit wird man Michael Heltau, dem Gewinner des Lebenswerk-Nestroys, nicht absprechen. Er habe sich Wien "erliebt", dichtete Klaus Bachler, gewissenhafter Laudator des Burg-Doyens. Über der Beharrlichkeit, die Menschen mit gleißendem Strehler-Licht und raunender Jacques-Brel-Lyrik zu behexen, ist Heltau dem Theater ein wenig verloren gegangen. Aber wie Heltau meinte: "Den Namen Giorgio Strehler kann man nicht oft genug sagen!" Der hilft verbürgen, was Wien gerne fehlt: Weltläufigkeit. (Ronald Pohl/DER STANDARD, Print-Ausgabe, 28. 11. 2005)