Die Schule ist eine Mängelverwaltung. Ja, sie funktioniert halbwegs, da und dort auch ganz gut, aber im Prinzip stellt das Schulsystem eine permanente Fortführung von nicht ausgeschöpften Möglichkeiten, von vergebenen Chancen und nicht vorhandenen Ressourcen dar.

Es gibt motivierte Lehrer, es gibt motivierte Direktoren, es gibt sogar motivierte Schüler. Sie alle überleben in einem System, das vom Sparkurs der letzten Jahre gezeichnet ist. Die Zahl derer, die nur ihren Job machen, die Routine vor Motivation stellen, die resignieren oder bereits ausgebrannt sind, ist groß. Und wird größer. Schuld daran sind die Rahmenbedingungen. Täglich müssen Hürden überwunden werden, um eine schwierige Vorgabe wenn schon nicht mit Bravour, dann wenigstens mit Anstand zu bewältigen. Viele scheitern daran. Opfer sind Schüler und Lehrer.

Ringen um Lehrer

Das Ringen um die so genannten Stütz- oder Begleitlehrer, die sich vor allem um jene Kinder kümmern sollten, die nicht ausreichend Deutsch sprechen, zeigt, wie sehr die politische Debatte an der Realität vorbeigeht. Eine Hauptschule von vielen in Wien und nicht die schlimmste: Knapp 300 Schüler, 80 Prozent haben Deutsch nicht als Muttersprache. 15 Schüler sprechen gar nicht Deutsch. Sie sind erst vor Kurzem nach Österreich gekommen, besuchen zwar die Schule, können dem Unterricht aber nicht folgen. Anzahl der Stützlehrer an dieser Schule: null. Dafür gibt es schlicht kein Budget.

Daher versuchen nicht dafür ausgebildete Lehrer einmal in der Woche den 15 nicht Deutsch sprechenden Schülern in vier Stunden rudimentäre Sprachkenntnisse beizubringen, manchmal auch nur alle zwei Wochen. Der Direktor der Schule ist ein engagierter Mann, aber besser geht's einfach nicht.

Verlogene Debatte

Die Debatte, die auf politischer Ebene geführt wird, ist eine verlogene Scheindebatte. Integration findet an den Schulen im besten Fall trotz der von der Politik vorgebenen Rahmenbedingungen statt, aber sicher nicht deshalb, weil es dafür irgendeine Hilfestellung geben würde.

Erkenntnisse aus der Wissenschaft, was Integrationsmodelle, soziales Lernen oder Aggressionsbewältigung betrifft, versickern im Ministerbüro, weil es keine Schnittstelle zwischen Theorie und Praxis gibt, nur Verwaltung. Eine detaillierte Auswertung, etwa der Ergebnisse der Pisa- Studie, findet nicht statt, weil dazu der Wille und die Bereitschaft zur Erkenntnis fehlen.

Praktische Schulautonomie findet nicht statt, weil Direktoren nur Statthalter der Bezirksschulinspektoren sind und keine Entscheidungsgewalt haben. Eigenständiges und verantwortliches Handeln wird nicht ermöglicht, das macht es umso leichter, sich auf die bloße Mängelverwaltung zurückzuziehen. Wer nicht entscheidet, ist auch nicht verantwortlich. Es ist ein System der Inkompetenz.

Dialog verweigert Über die Gesamtschule, die nach Ansicht vieler Experten absolut Sinn machen würde, darf erst gar nicht geredet werden, weil sich die ÖVP in ihrer ideologischen Tintenburg eingegraben hat und den Dialog verweigert.

Warum Volksschul-, Hauptschul- und Mittelschullehrer nicht einheitlich auf einem hohen Niveau ausgebildet werden, versteht überhaupt niemand, die Ursachen kann man in gewerkschaftlicher Machtpolitik und im Standesdünkel mancher Lehrervertreter suchen.

Obwohl die Bildungsministerin am liebsten alles zu Tode evaluieren würde, um ja nicht irgendetwas ändern oder verbessern zu müssen, wird ausgerechnet die Leistung von Lehrern nicht evaluiert. Ein Feedback der Schüler ist unerwünscht. Das mag auch daran liegen, dass viele Lehrer, die ständig beurteilen, es nicht aushalten, selbst beurteilt zu werden, weil sie mit Kritik nicht umgehen können. Was an ihrem Selbstwertgefühl liegen mag, was wiederum mit der mangelnden politischen Unterstützung für diesen Beruf zu tun haben könnte.

Die Schule funktioniert dennoch. Von einer idealen Schule für alle sind wir aber Lichtjahre und eine Bildungsministerin entfernt. (DER STANDARD-Printausgabe, 26.11.2005)