Linzer Studenten schaffen Heim-Raum für südafrikanische Kinder - und zwar mit traditioneller afrikanischer Bautechnologie, die modifiziert und kostengünstig angewandt wurde. Denn, so Architekt Roland Gnaiger: "Wir leben in einer Gesellschaft, in der dem Überflüssigen viel mehr Hinwendung, Zeit und Geld zufließt als dem Notwendigen."

Fotos: Sabine Gretner, Cornelia Reithofer
Fotos: Sabine Gretner, Cornelia Reithofer
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Fotos: Sabine Gretner, Cornelia Reithofer
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Die Welt der Architekturpublikationen ist voll mit den Hochglanzbildern teuerster Architekturen und wohldesignter Objekte. "Wir leben in einer Gesellschaft, in der dem Überflüssigen viel mehr Hinwendung, Zeit und Geld zufließt als dem Notwendigen", erklärt Architekt Roland Gnaiger, Leiter der Architektur an der Kunstuniversität Linz: "Es scheint paradox, aber: Luxus zieht alle Energie an sich und steigert den Mangel!" Mehr noch, Gnaiger bezeichnet diese Architektur als die perfideste Form des Bauens überhaupt.

Reichtum und Überschuss - das sind genau jene Faktoren, mit denen der Großteil der Erdbevölkerung gar nicht erst konfrontiert wird. Die Rede ist von jener machtlosen Mehrheit, die weder medial noch politisch oder wirtschaftlich über jene Mittel verfügt, um im Sog der Globalisierung jemals oppositionell auftreten zu können.

Christoph Chorherr bringt es dem STANDARD gegenüber auf den Punkt: "Die Zukunft unseres Planeten wird nicht ausschließlich in den westlichen Ländern entschieden", es sei daher wichtig, Ressourcen und Know-how intelligent untereinander aufzuteilen. Eine Erkenntnis, die den Global Playern längst nicht mehr fremd ist. Zumindest diesen einen Aspekt gibt es also, den man sich als dünnes Scheibchen von den großen Konzern-Bösewichten abschneiden kann.

Das hat für den Grünen-Politiker ausreichend Motivation geboten, den gemeinnützigen Verein Sarch zu gründen. Hinter der Namensgebung verbirgt sich der Begriff der social sustainable architecture. Chorherr: "Sarch ist der Versuch, die unglaubliche Energie und Kraft, die in den Universitäten steckt, herauszukitzeln und ihr endlich ein intelligentes Ventil zu geben."

Vergangenes Jahr gab es bereits ein erfolgreiches Projekt in Zusammenarbeit mit der TU Wien, heuer wurden die Architekturstudierenden der Kunstuni Linz zur Kooperation eingeladen. Architekturprofessor Roland Gnaiger: "Zu Beginn wussten wir gar nicht, ob wir genügend Studenten für dieses abenteuerliche Wagnis zusammentrommeln können, und am Ende mussten wir die Liste der Interessenten sogar noch kürzen."

Universitäten und NGOs arbeiten ernsthaft zusammen - endlich wurde das intelligente Ventil auch auf der nicht universitären Seite montiert. Die milde Süße des Wolkenkuckucksheims Bildungsstätte wird verlassen, flügge steuert man der beinharten Realität entgegen. Und fliegt in den Süden. Beispielsweise nach Johannesburg, genauer gesagt nach Orange Farm, einem jener unzähligen Townships, die während der Apartheid für farbige Bevölkerungsschichten errichtet wurden und die noch lange nicht der Vergangenheit angehören werden.

Nein, in diesen Vororten spielt's nicht die Desperate Housewives auf südafrikanisch, tatsächlich haben diese Gettos riesige, verzweifelte Ausmaße angenommen und ringen seit jeher mit Armut, Aids, Arbeitslosigkeit und Analphabetismus. Was darüber hinaus fehlt, ist einerseits eine funktionstüchtige Infrastruktur, andererseits eine ebenso funktionstüchtige Bauweise, die die kleinen Häuser im Sommer nicht in Grillstationen und im Winter in Kühltruhen verwandelt.

Es sei unvorstellbar, erklärt Gnaiger, doch die Bewohner dieser ungedämmten "shacks", wie die meist blechgedeckten Baracken in Südafrika genannt werden, seien zwischen Sommer und Winter Temperaturschwankungen von über 40 Grad ausgesetzt. (Spätestens jetzt kann sich jeder Laie unter dem Berufsbild des Bauphysikers etwas vorstellen.)

Am konkreten Beispiel der längst überfälligen Erweiterung eines Kinderheims in Orange Farm wuchsen die Studentinnen und Studenten zu ebensolchen bauphysikalischen Profis heran. Teilweise sogar in autodidaktischer Eigenregie, denn am Schreibtisch sitzend ist da nichts mehr zu erreichen. Und das bedeutet Trial and Error, unermüdliche Empirie oder - wie es Sarch ausdrückt - "build together, learn together".

Neben einem klugen Konzept, das neue Räumlichkeiten für die behinderten Kinder des Tebogo-Kinderheims vorsieht, galt der studentische Eifer vor allem also der Auseinandersetzung mit den klimatischen Bedingungen, der Rücksichtnahme auf die örtlich verfügbaren Materialien, einer schweißtreibenden Keilerei und Sponsorensuche, und nicht zuletzt auch der Realisierung der entwickelten und herangereiften Planung.

Dreieinhalb Monate Vorbereitungszeit - gebaut wurden das Therapiegebäude, das Küchenhaus und die Pergola dann in nur fünf Wochen. Dem gebührt hoher Respekt. Wie im Übrigen auch den vielen tat- und finanzkräftigen Sponsoren dieses Projekts.

Ich verstehe Sarch nicht als Entwicklungshilfe-Organisation", erklärt Chorherr, "denn es geht in erster Linie darum, zu lernen und sich dem schwierigen Thema der Nachhaltigkeit unter finanziellen wie technischen Mangelbedingungen zu widmen." Ohne Kooperation mit Anrainern und behördlich versierten Einheimischen wäre das alles nicht möglich gewesen.

Den Studenten hat Sarch die nahezu absolute Narrenfreiheit erteilt. Die einzige Vorgabe: Wenn ein Projekt begonnen wird, soll es so dimensioniert werden, dass die Studenten tatsächlich in der Lage sind, es auch bis zur letzten Schraube fertig zu stellen. "Es darf auf keinen Fall ein weiterer White Elephant in die Landschaft gestellt werden", das sei ohnehin schon eine beliebte Eigenschaft von vielen Entwicklungshilfe-Projekten.

Beim Bau des Tebogo-Kinderheims hat man sich beispielsweise nicht damit zufrieden gegeben, irgendwelche Ziegelwände hochzuziehen, sondern hat sich einer Bauweise angenähert, die - bis auf die Arbeitszeit der miteingebundenen Einheimischen - mehr oder weniger gratis war. Ein Skelett aus Holz, dieses wurde mit geflochtenen Grasmatten verkleidet, der Zwischenraum wurde ganz einfach mit Erde ausgestopft, schließlich wurde der fertige Wandaufbau in Lehm eingepackt. Mit einem Wort: Alle Materialien wurden aus dem All-you-can-use-Buffet von Mutter Erde beigezogen, das ist gebaute afrikanische Tradition.

Das Gustostückerl an der Sache: Hier ist nicht nur ein fruchtbarer und neuer Boden für ein Kinderheim in Orange Farm geschaffen worden, hier ist auch Schönheit gebaut worden. Nein, nachhaltige Architektur muss nicht wie ein abgestellter und vergessener Lehmhaufen ausschauen. Und ja, Low-Cost-Technologie und Hilfe zur Selbsthilfe darf auch den objektiv nur schwer fassbaren Blickwinkel der Ästhetik miteinbeziehen. Es wäre mittlerweile an der Zeit, dass sich diese Einsicht in der Architekten- und Bauherrenschaft endlich herumspräche!

Die wahnwitzige Formel lautet, dass Schönheit mit Eitelkeit, Luxus und Verschwendung gleichzusetzen sei, mokiert sich Roland Gnaiger. "Also: Wo Armut herrscht und Not, muss auch Hässlichkeit sein?" Schönheit ist ein Grundrecht. Auch dort, wo sie nicht glänzt. (ALBUM/DER STANDARD, Printausgabe, 26./27.11.2005)