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Mitunter bis zur Sturheit hart in der Sache, flexibel im Umgang mit der Macht: Labour-Politikerin Helen Clarke.

Foto: AP/Jeff Brass
Helen Clark gilt als zugängliche Premierministerin, sagen neuseeländische Journalisten. Sie erhalten relativ leicht einen Termin mit der Frau, die in den oberen Etagen des "Bienenstocks" in Wellington residiert, des Parlaments- und Verwaltungsgebäudes in der Hauptstadt. Mit ihrer dunklen Stimme beantwortet sie geduldig alle Fragen, auch dumme. Bis zu einem gewissen Punkt. Wenn sie das Gefühl hat, ein Interviewer habe sich nicht richtig vorbereitet, wirft sie ihn hinaus. Hemmungslos.

Die Mischung von trocken-sachlicher Freundlichkeit und eiserner Faust ist wohl einer der Gründe, weshalb die 55-jährige ehemalige Universitätsdozentin seit sechs Jahren die Geschicke des Landes am anderen Ende der Welt steuert. Nach den Wahlen Mitte September schaffte sie es mit hauchdünner Mehrheit und viel politischem Fingerspitzengefühl, für ihre Labourpartei Koalitionspartner zu finden. Eigenartige Koalitionspartner, zugegeben. Außenminister ist ausgerechnet Winston Peters von New Zealand First, einer rechtskonservativen Partei, der sich mit fremdenfeindlichen Äußerungen hervorgetan hat. Doch ein Bündnis mit ihrem bisherigen Erzfeind einzugehen, gehört zum politischen Geschick, das Helen Clark seit Jahren immer wieder beweist. In Wellington ist man sich einig: sie hat den Mann in der Tasche.

Helen Clark ist für viele Politikerinnen rund um den Globus ein Vorbild, egal welcher Ideologie sie sich zugehörig zählen. Denn Clark ist eine Frau von unglaublicher Stärke. Geboren als Tochter eines Milchbauern, verschrieb sie sich an der Universität schon bald den Ideen des Marxismus. Sie war schon während ihrer Studentenzeit eine harte Kämpferin, sagen Kollegen. Und sie hatte seit jeher einen ausgeprägten Sinn für soziale Gerechtigkeit.

Bescheiden und offen

Als sie 1999 an die Macht kam, war die Zeit der spektakulären Auftritte der Propagandisten radikalster Wirtschaftsreformen der 80er-Jahre endgültig vorbei. Clark führte in Wellington Einfachheit, Bescheidenheit, Offenheit und soziales Bewusstsein ein. Sie kaufte ihre Kleider nicht in Paris, sondern im Kaufhaus in Auckland und machte ihre Wahlversprechen wahr. Sie stoppte eine Reihe der Wirtschaftsreformen früherer Regierungen, die von Neoliberalen weltweit als Vorbild gefeiert wurden. Sie erhöhte die Steuern für gut Verdienende, reduzierte die Ausbildungskosten für Studenten und führte die privatisierte Unfallversicherung in die Hände des Staates zurück.

Geschickt nutzte Clark aber auch viele positive Aspekte der Liberalisierungsmaßnahmen, die Neuseeland zweifelsohne aus dem Dornröschenschlaf geholt hatten. Heute genießt der früher von quasi-stalinistischen Fesseln behinderte Antipodenstaat ein im internationalen Vergleich überdurchschnittlich gutes Wirtschaftswachstum.

Dass Clark es jüngst trotzdem nur noch knapp zurück in den "Bienenstock" schaffte, hat vielleicht auch mit ihrer konsequenten Haltung zu tun, die in den Augen einer wachsenden Zahl von Neuseeländern gelegentlich in Sturheit ausartet. So weigerte sich Clark im Wahlkampf strikt, ihrem konservativen Herausforderer zu folgen und massive Steuererreduktionen zu versprechen, die sich der Staat durchaus leisten könnte. Statt sich auf ideologische Debatten einzulassen, schnallte sich Clark Wanderschuhe und Klettereisen an und widmete sich ihrer zweiten Leidenschaft nach der Politik: dem Extrembergsteigen. (DER STANDARD, Printausgabe, 24.11.2005)