Es geht um mehr als Weihnachtsbäckerei: An der Wiener Reichsbrücke eröffnete die Kinderstadt "Minopolis". Kinder können in einer Miniaturwelt in die Rollen von Bäcker, Bankerin, Müllmann und TV-Moderatorin schlüpfen.

Foto: Standard/ Minopolis

Am Samstag eröffnet die Kinderstadt "Minopolis", in der Kinder die Welt der Erwachsenen kennen lernen sollen. Kritiker halten die Präsenz von kommerziellen Marken für problematisch.

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Wien – Der letzte Farbanstrich ist getrocknet, das Kopfsteinpflaster gescheuert, die Schaufenster lupenrein – "Minopolis" ist bereit für den Ansturm von neugierigen Kindern, die schon immer einmal in die Rolle einer Bankerin oder Bäckerin, eines TV-Moderators oder Müllmannes schlüpfen wollten. Und welches Kind will das nicht?

Europas erste Kinderstadt

Dementsprechend hoch gesteckt sind die Erwartungen: Man rechnet mit 330.000 Besuchern pro Jahr in "Europas erster Kinderstadt", die am 26. November auf der 6000 Quadratmeter großen Fläche eines aufgelassenen Eventgastronomen im Cineplexx-Kino bei der Reichsbrücke eröffnet.

Konzept ist simpel

Das Konzept ist so simpel wie neuartig: Kids zwischen vier und zwölf Jahren sollen in 27 Themenstationen die Welt der Erwachsenen so wirklichkeitsgetreu wie möglich erfahren. Öffentliche Einrichtungen wie Krankenstation, Polizei und Feuerwehr finden sich in der Stadt im Miniaturformat genauso wie eine Zeitungsredaktion und eine Recyclinganlage.

Überwältigende Präsenz von Logos

Das klingt nach sinnvoller Freizeitgestaltung – wäre da nicht die überwältigende Präsenz von Logos und bekannten Marken, die – ganz und gar nicht im Kleinformat – den Blick auf die Geschäfte aller Branchen leitet, in denen die Kinder ihr verdientes oder mit der Eintrittskarte erworbenes Startkapital in Form von Eurolinos ausgeben können. "Wie im richtigen Leben" – so der einhellig wiederholte Tenor der Geschäftsführung.

Problematische Aneignung der Wirklichkeit

Der Kinderpsychiater Ernst Berger hält die Verknüpfung von spielerischer Aneignung der Wirklichkeit mit intensiver Werbung "für ganz problematisch, insbesondere für die Kleineren, die noch nicht mit Marken umgehen können". Umweltstadträtin Ulli Sima, deren Ressort mit der MA 48 (Müllabfuhr) und MA 30 (Kanalisation) vertreten ist, sowie Stadtschulratspräsidentin Susanne Brandsteidl (beide SPÖ) bemühten sich hingegen, den pädagogischen Wert von "Minopolis" hervorzuheben: Vermittelt würden ökonomische Prozesse und Umweltbewusstsein. Deswegen stellte die Stadt Wien rund 300.000 Euro für das Acht-Millionen- Projekt zur Verfügung.

Mehr als eine amerikanische Shoppingmall

Dass die Kinderstadt jedoch mehr an eine amerikanische Shoppingmall erinnert, kommt nicht von ungefähr: Die Idee kam Eigentümer Erwin Soravia, Geschäftsleiter des gleichnamigen Immobilienkonzerns, beim USA-Besuch. "Ohne die kommerziellen Partner wäre das Konzept unerschwinglich gewesen", ist er überzeugt, dass die Vorteile die unvermeidliche "Markenüberflutung" überwiegen. Wobei der Eintrittspreis von 12 Euro vielen Eltern nicht gerade erschwinglich erscheinen wird.

Elisabeth Menasse, Direktorin des Wiener Kindermuseums "Zoom", hält die Vermittlung von kulturellen und sozialen Werten wichtiger als die Imitation der Erwachsenenwelt: "Mit Konsum sind die Kinder eh ständig konfrontiert." (Karin Krichmayr, DER STANDARD Printausgabe 25.11.2005)