Zellbiologisch keine große Sache: eine einzelne Krebszelle, umringt von Killerzellen. Eine zuverlässige Diagnose bereitet Medizinern allerdings jede Menge Kopfzerbrechen.

Foto: Boehringer Ingelheim
Die Krebsdiagnostik ist auf den Hund gekommen. Im Bemühen, Krebs zu diagnostizieren, ist Wissenschaftern kein Experiment zu abwegig: Beim Blasenkarzinom nahmen sie in einer amerikanischen Studie Hunde zu Hilfe. Die Tiere wurden so abgerichtet, dass sie an dieser Krebsart erkrankte Menschen aufgrund des "Urinschnüffelns" identifizieren konnten. Und siehe da: Es funktionierte nicht schlecht. Von 36 Testpersonen erkannten die Vierbeiner aufgrund tumorspezifischer Komponenten immerhin 48 Prozent. Der Anfang vom Ende der Gerätemedizin?

Seit geraumer Zeit wird über Früherkennung von Krebs mehr oder minder heftig diskutiert, Kritiker sprechen gar vom "Mythos Krebsvorsorge". Die Medizin ist sich nicht einmal mehr einig, ob Früherkennung überhaupt Leben retten kann. Krebsfrüherkennung sei zu einer Rechnung mit Unbekannten geworden, urteilen Skeptiker und belegen die Einschätzung mit ausreichend Zahlenmaterial.

Schwache Erfolgsquote

Von 1000 Frauen könne etwa nur eine damit rechnen, vor dem Tod durch Gebärmutterhalskrebs gerettet zu sein, wenn sie sich 35 Jahre lang regelmäßig untersuchen ließe. Von 1000 60-Jährigen, die zehn Jahre lang einen Stuhltest abliefern, könne einer bis zwei damit rechnen, dank der Untersuchung nicht an Darmkrebs zu sterben. Und von 1000 60-Jährigen, die eine Darmspiegelung machen lassen, dürften nur zwei bis drei darauf hoffen, dank der Untersuchung nicht an Darmkrebs zu sterben, listet Facts auf.

Angesichts dessen scheint die Frage berechtigt: Wie zuverlässig sind herkömmliche Diagnoseverfahren? Sind verbesserte Methoden nur willfährige Assistenten einer ausufernden Medizin- und Geräteindustrie? Speziell bei Krebs galt die Früherkennung stets als besonders wichtig für eine günstige Prognose. Mittlerweile wollen das viele relativiert sehen.

Bei Prostatakrebs kann etwa Klaus Weinberger vom Biotech-Unternehmen Biocrates Life Sciences, Partner des Kompetenzzentrums für Medizin in Tirol, die Bedenken nachvollziehen: "Ein 70-jähriger Patient stirbt vermutlich nicht am diagnostizierten Prostatakarzinom, sondern mit ihm. Mit der nachfolgenden Therapie nimmt man ihm allerdings viel von seiner Lebensqualität." Dazu kommt, dass der gängige PSA-Test als unzuverlässig gilt: Erhöhte Werte seien extrem schwierig zu interpretieren, die Fehlerquote hoch. Um sicherzugehen, müsse der Patient eine Biopsie ertragen: Die Gefahr, dass dabei der Tumor verfehlt werde, sei ebenfalls hoch.

Biomarker

Weinberger arbeitet deshalb mit Biomarkern. Das sind frühzeitige biologische Warnschilder, die ein erhöhtes Krebsrisiko im Organismus anzeigen. "Lange bevor er Beschwerden macht", sollen tumorspezifische Proteine in Blut- oder Gewebeproben nachgewiesen werden. Mittlerweile ist daraus ein internationales Projekt geworden, das seit vergangener Woche läuft: Über drei Jahre erforschen das Wiener Institut für medizinische Genomforschung, das deutsche Krebsforschungszentrum in Heidelberg, die Innsbrucker Universitätsklinik für Urologie und das Institut für analytische Chemie gemeinsam die Biomarker. Auch für weitere Anwendungsmöglichkeiten wie Brust-, Gebärmutterhals- und Dickdarmkrebs.

Die Bemühungen aktueller Forschungsarbeiten gehen denn auch in Richtung mehr Zuverlässigkeit: Christian Vutuc vom Wiener Krebsforschungsinstitut lobt bessere Geräte und gründlicher ausgebildete Radiologen bei Mammografien. Am bisweilen "unkontrollierten Screening" hält er jedoch fest.

Lungenkrebs

Skeptiker der Krebsdiagnostik zum Verstummen bringt man spätestens bei der Diagnose Lungenkrebs: Das so genannte Bronchialkarzinom bleibt meist für viele Jahre ohne klinische Symptome und wird erst im späten Stadium auffällig. Deshalb sind derzeit etwa zwei Drittel aller Tumore zum Zeitpunkt der Entdeckung irreparabel. Mit einem Sputum-Test erhoffen sich Mediziner der Uniklinik Wien Fortschritte: Verschiedene chromosomale Abnormitäten wurden in histologischen Präparaten identifiziert.

Mit Biomarkern im Blut arbeiten auch US-Forscher bei Eierstockkrebs. Wenn der Spiegel von zweien der Proteine in einen jeweils vordefinierten Bereich fallen, schlägt der Test Alarm - vorläufig allerdings noch mit 20-prozentiger Fehlerquote. Fehlende Genaktivität könnte ein zuverlässigeres Indiz sein, vermuten indes Forscher am Wiener AKH: Sie entdeckten, dass bei Eierstockkrebs zwei bestimmte Gene völlig inaktiv sind.

Elastische Zellen

In Deutschland entwickeln Physiker ein Gerät, das die Elastizität von Zellen misst. Je näher eine Krebszelle im Metastasenstadium ist, desto weicher wird sie. Damit soll der Tumor identifiziert werden, noch bevor er sich auf andere Körperteile ausbreiten kann.

Und mit Bürsten sollen Zahnärzte künftig Mundkrebs früher diagnostizieren können. Ein Abstrich unter dem Mikroskop verschafft dem Arzt rasche Einblicke. Das kommt auch dem Patienten zugute: Er erspart sich eine unangenehme Operation. Ebenfalls im Teststadium befindet sich ein Speicheltest zur Mundkrebsdiagnostik.

Zuverlässiger als der "Hunde-Test" erscheint bei Blasenkrebs die Arbeit italienischer Forscher: Für ein gültiges Ergebnis muss nur die Menge des Enzyms Telomeras im Urin festgestellt werden. Und zwar ohne Riechtest. (Doris Priesching, DER STANDARD, Print, 21.11.2005)