Im STANDARD-Interview vom 18. November hat der Wiener Grünen-Politiker Christoph Chorherr ausgesprochen, dass die Grünen insgesamt vor einem Existenzproblem stehen: Zwanzig Jahre nach dem Einzug ins Parlament bietet sich nächstes Jahr die Chance auf einen Einzug in die Regierung beziehungsweise die Chance, Schwarz-Irgendwas abzulösen, ein neuerliches Schwarz-Blau zu verhindern und Teil einer rot-grünen Regierung zu sein. Chorherr: "Wir stehen ein Jahr vor der wohl wichtigsten Wahl in der Geschichte der Grünen. Aber so, wie wir uns in Wien aufstellen, bin ich ausgesprochen skeptisch."

Im Wiener Landtagsklub haben sich die grünen Fundis durchgesetzt. Im Kielwasser der Wiener Wahl, die für die "Realo"-Klubchefin und Spitzenkandidatin Maria Vassilakou zwar einen Stimmenzuwachs, aber trotzdem eine Enttäuschung gebracht hatte. Nach diesem Ergebnis siegte die altlinke Philosophie "Wir wollen lieber ideologisch rein unter uns bleiben, als irgendetwas wirklich zu gestalten."

Tatsächlich dürfte Chorherr die Gefahr richtig einschätzen, dass die Grünen wieder eine Chance verspielen könnten. Die dominanten Wiener Fundis verschrecken neue Wählerschichten aus dem Bereich der bürgerlichen Liberalen, der vielen neuen Selbstständigen, der "Generation Praktikum" - junge Leute der Bildungsschicht, die sich mit Teilzeitjobs, Volontariaten usw. durchs Berufsleben fretten müssen - und im Grunde keine politische Vertretung haben. Denen kann man mit "Arbeitersolidarität"-Parolen nicht kommen.

Die Wiener Verengung birgt aber die Gefahr, dass die nächste Nationalratswahl für die Grünen wieder schief geht und sie als Koalitionspartner rein rechnerisch, aber auch inhaltlich nicht infrage kommen. Die Frage, ob man mit der ÖVP oder der SPÖ koaliert, wird sich dann gar nicht stellen.

Das wäre mehr als schade, weil die Grünen für die zwei Großprobleme, die die Politik der nächsten Jahre bestimmen wird, die richtige innere Einstellung und auch Kompetenz mitbringen.

Thema Nummer eins ist die dringend notwendige Integration und die sanfte Assimilation der Einwandererkinder. Hier braucht es kluge, begleitende Förderung, aber auch Kontrolle. Es kann nicht zugelassen werden, dass da eine Generation heranwächst, die in der Schule wenig gelernt und noch weniger Aussicht auf einen Arbeitsplatz hat. Ein permanentes Subproletariat ist brandgefährlich. Hier müssen Staat und Privatwirtschaft viel mehr Geld in die Hand nehmen, was übrigens auch Jobs für Förderlehrer, Sozialarbeiter, Mediatoren usw. bedeutet.

Eng verzahnt damit ist die Situation unseres Bildungswesens, das eine grundlegende Erneuerung und ebenfalls sehr viel mehr Geld erfordert. Schulen und Hochschulen sind reif für neues Denken, warum nicht auch für eine grüne Besetzung des Ressorts?

All das ist durch den Wiener Putsch der Fundi-Kader gefährdet. Christoph Chorherr spricht daher davon, es werde nun ein neues Projekt gestartet: "Die Erneuerung der Wiener Grünen."

Was kann das heißen? Die Positionen (nicht amtsführende Stadträte, Vize-Klubvorsitzende, Mitgliedschaft in wichtigen Ausschüssen) sind vergeben, die Personen sind einzementiert. Redet Chorherr von Abspaltung? Das wäre ein Verzweiflungsakt, ein Jahr vor der Wahl.

Wie dem auch sei, die grüne Zukunft ist wieder sehr ungewiss geworden. Altlinke Kader sind bessere Organisierer und Fraktionierer als die Vertreter der bürgerlich-liberalen Strömung. Das kann den Grünen den endgültigen Durchbruch im Jahr 2006 kosten. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 19./20. November 2005)