Medien, Manipulation und Misstrauen: Daniel Auteuil und Juliette Binoche in Michael Hanekes Psychothriller "Caché".

Foto: Filmladen
Wien - Im Fernsehen mäandert der Strom der Weltnachrichten; es gibt kein Thema, das man mit knappen Schnitten nicht vereinfachen könnte; auf der Straße und in den Häusern filmen die Digitalkameras, was das Zeug hält; und immer größer wird der Verdacht, dass man das meiste nicht mitbekommt, die Übersicht verliert, Opfer von (Selbst-)Täuschungen wird. Aber was heißt das: Opfer ...?

Michael Hanekes neuer Film Caché beginnt mit einer Beobachtung bzw. ist er eine Beobachtung, bei der nie ganz klar ist, ob sie nicht viel eher Belagerungszustand ist. Noch viel weniger klar ist jedoch, ob nicht diejenigen, die da abgefilmt und belagert und belauert werden, selbst quasi das Rüstzeug zu ihrer Angreifbarkeit geschmiedet haben.

Dazu nur eine kurze Rückblende zu einer früheren Fernseharbeit Hanekes: 1991 zappte sich der Regisseur in Nachruf auf einen Mörder durch das ORF-Programm eines Tages, an dem ein junger Mann Amok lief. Nichts in dieser monotonen Montage von "Information" und "Unterhaltung" rechtfertigte oder erklärte die Tat, die letztlich selbst TV-"Programm" wurde. Aber Hanekes Nachruf ließ immerhin Druckverhältnisse und Beschleunigungen erahnen, denen auch der Täter ausgesetzt war. Nur, was heißt das schon: Täter . . .?

(An-)Spannung

Caché verhandelt sein Sujet mit ähnlicher Ungerührtheit und wertfreiem Aufbau von (An-)Spannung. Sicher, in der relativ schlichten Geschichte einer Kleinfamilie, die mit Videoaufnahmen ihres Domizils "terrorisiert" wird, tut der Film allen Anforderungen Genüge, die man gemeinhin an Thriller stellt: Da sind die beiden Eheleute (Daniel Auteuil und Juliette Binoche), die einander zu misstrauen beginnen. Das Kind, das aggressiv wird. Ein Verfolger, möglicherweise, der alte Schuld zu rächen versucht.

Diese Handlungselemente sind jedoch allesamt Behauptungen, die gewissermaßen der Betrachter selbst aufstellen muss. Was er zuerst noch für einen ungewöhnlich statischen Vorspann zu einem Film hielt - eine Seitenstraße am Morgen, stoisch durch eine Digitalkamera beobachtet, von Inserts überschrieben, in denen Haupt- zu Nebenakteuren werden -, das kippt um in ein Drohvideo, das sämtliche Rückschlüsse auf einen "Verfasser" verweigert. Immer wieder werden in diesem Film Passagen wortwörtlich zurückgespult. Sie sind übervoll mit Details. Aber sie geben das Geheimnis, das in ihnen stecken mag, nicht preis. Es bleibt verdeckt - caché.

Müsste man Hanekes gegenwärtige Arbeit in Relation zu anderen Werken des internationalen Kinos setzen, dann fiele einem Antonionis Blow Up ein: Nur braucht es kaum noch einen Protagonisten, der manisch Bilder nach Indizien absucht, wie damals David Hemmings. In Caché ist vor allem das Publikum der "Detektiv", angezogen und abgestoßen zugleich von Videomaterial, das merkwürdig infiziert scheint. Es ist nicht einmal klar, ob es so, wie wir es sehen, wirklich gedreht werden konnte. Insofern erinnert dieser Thriller auch ein wenig an zeitgenössische japanische Gespensterfilme wie The Ring.

Da werden Menschen, die gerade ein (verwunschenes) Video ansehen, angerufen: "In sieben Tagen bist du tot." In schönster Replik auf Geistergeschichten des 19. Jahrhunderts haben diese parapsychologischen Bedrohungen natürlich immer mit verdrängter Schuld zu tun. Aber schon beim Tischchenrücken ist ja meist nie klar, ob man sich nicht dieser Schuld - unbewusst, aber doch - selbst bezichtigt, unter dem Vorwand, es gäbe gute oder böse Geister. Die Gänsehaut, die es einem aufzieht: Da erzählt einem der Körper unsere eigene Geschichte, wie eine Allergie.

Caché reißt in diesem Sinne manche Überforderung im Umgang mit Opfer- und Täter-und Selbstinszenierungen auf. Ohne zu viel vom Inhalt verraten zu wollen: Es ist auch der erste Film seit Langem, der zeigt, was etwa der folgende Kurzschluss bedeuten könnte: Selbstmord - Attentat. (DER STANDARD, Printausgabe, 19./20.11.2005)