Die Erdkugeln zeigen die Wassermenge (Höhe der Wasserschicht in Millimeter), die im April, August und November 2003 über Afrka und Amerika geflossen ist. Duneklblau und Lila bedeuten Trockenheit, Pink und Rot Regenzeit.

Foto: GFZ
Potsdam - Die Wissenschafter staunten, als sie die erstellten Erdkarten ausgewertet hatten: Es fließt viel mehr Wasser über den Planeten, als bisher angenommen wurde.

Die Karten beruhen auf Daten der beiden Grace-Satelliten, die die Erdanziehungskraft messen: Über Regionen erhöhter Schwerkraft wird der erste plötzlich stärker beschleunigt und enteilt dem Zwillingssatelliten ein wenig. Radargeräte an Bord ermitteln mikrometergenau den Abstand der beiden Satelliten, GPS-Empfänger bestimmen ihre Position. Es entsteht eine Karte der Anziehungskraft.

Einem Team des Geoforschungszentrums Potsdam (GFZ) und anderer Institute ist es gelungen, daraus die Wassermenge am Boden zu errechnen - denn die Wassermassen verstärken die Gravitation. "Andere Effekte konnten wir herausfiltern", berichtet GFZ-Physiker Markus Rothacher.

Demnach spülte die Regenzeit im April 2003 Millionen Tonnen Wasser ins Amazonasbecken (linke Erdkugel im Bild). Der Wasserspiegel erhöhte sich um 20 Zentimeter. "Die bewegte Wassermenge ist um ein Drittel größer als gedacht", sagt Karl Heinz Ilk von der Universität Bonn. In den folgenden vier Monaten sanken Fluss- und Grundwasserpegel im Amazonasbecken örtlich 20 Zentimeter unter das Mittel. In Venezuela gab es starke Niederschläge.

Anderswo fließt ebenfalls mehr Wasser als angenommen. In der südasiatischen Monsunregion etwa ergießen sich alljährlich ähnliche Regenmengen wie am Amazonas. Auch in den afrikanischen Tropen gibt es vergleichbar starke Niederschläge. "Das hat uns besonders überrascht", sagt Ilk - war Afrika doch aufgrund großer Messlücken bisher ein weißer Fleck in der Wasserbilanz.

Auch die Flusstäler Sibiriens nehmen im Frühjahr gigantische Mengen Schmelz-und Regenwassers auf. Die Pegel steigen dort um durchschnittlich 15 Zentimeter - und damit mehr als doppelt so stark als angenommen.

Vielleicht kann - angesichts der klimabedingten befürchteten Zunahme von Trinkwasserknappheit - mit den Grace-Daten künftig sogar rechtzeitig vor übermäßigem Grundwasserverbrauch gewarnt werden: Wie Forscher in den "Geophysical Research Letters" anhand der Grace-Daten berichteten, sanken während des Hitzesommers 2003 die Wasserpegel in Europa um knapp acht Zentimeter. Auch für die Klimaforschung soll die neue Wasserbilanz genutzt werden. Und schließlich sollten sich Eingriffe des Menschen in den natürlichen Wasserkreislauf in den Satellitendaten niederschlagen - derzeit wird geprüft, wie das im neuen Drei-Schluchten-Damm in China gestaute Wasser die Erdanziehungskraft der Region ändert.(Axel Bojanowski/DER STANDARD, Print-Ausgabe, 19./20. 11. 2005)