Christiane Rehm ist fasziniert vom Unterrichten. Man müsse die Kinder selbst entdecken und erforschen lassen, sagt die dreifache Mutter. In ihrer Klasse sind zwei Schulstufen zusammengefasst.

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Die "Schulstube Höchst" das sind fünf Mädchen, sechs Buben, eine Gruppe engagierter Eltern und Christiane Rehm, eine Lehrerin mit Pioniergeist. Gemeinsam starteten sie das Abenteuer "Lebendiges Lernen". Ein Projekt, bei dem auch die Lehrerin lernt.

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"Sag pumm, tschigge pumm . . .", im Kreis sitzen elf kleine Mädchen und Buben, klatschen rhythmisch in die Hände, formen scheinbar sinnlose Silben. Immer schneller, volle Konzentration, die Augen leuchten, die Backen sind rot. Einer kommt aus dem Takt, die Spannung löst sich in Gelächter auf, man kugelt sich auf dem Teppich. Mitten im Kreis "die Chrischtiane". Fröhlich, aber bestimmt leitet sie die Kleinen an. "Charlotte, möchtest du uns zeigen, wie das Lied auf Französisch geht?" Und schon ist die Bande wieder ganz aufmerksam, "oh ja, französisch".

Charlotte ist eine von drei "Zweitklässlern" in der altersgemischten Gruppe, sie kann schon lesen und auch zwei Sprachen, weil der Papa ein Franzose ist. "Et maintenant: Saaag puuuumm, tschiiiiiiigge puuuum . . ." Und jetzt schneller Charlotte! "Et mainten . . ." Dem Mädchen ist nicht nach schneller. "Ich will lieber Italienisch, der Lorenzo soll jetzt machen." Spricht's und drückt dem stillen Buben die Mappe mit den Rhythmusspielen in die Hand und einen dicken Schmatz ins Gesicht. Die anderen protestieren. Schließlich steht "nicht küssen" im Klassenvertrag, neben "nicht drängeln" und "nicht hauen". Nun wird ernsthaft diskutiert im Kreis - über Abmachungen und Verträge, die man auch einhalten sollte.

Charlotte schmollt

Charlotte schmollt ein bisschen, Lorenzo ist glücklich über die Hilfe der anderen, Christiane Rehm moderiert, die Gruppe ist wieder im Einklang. Aus dem Rhythmusspiel zum phonologischen Lernen wurde im Nu ein Anschauungsbeispiel für soziales Lernen. Es ist das Spontane, das Christiane Rehm an ihrer Arbeit so mag.

Die "Schulstube" ist genau genommen noch keine Schule. Rein formal läuft das mit Schulbeginn gestartete Projekt unter dem Begriff "Häusliches Lernen". Da in Österreich keine Schulpflicht besteht, sondern Unterrichtspflicht, können Kinder - mit Zustimmung der Schulbehörde - auch im häuslichen Rahmen unterrichtet werden. Diesen Rahmen hat eine Gruppe engagierter Eltern in der 6400-Menschen-Gemeinde Höchst geschaffen.

Am Ufer des Alten Rheines, unweit der Schweizer Grenze, wurde ein kleines, altes Rheintalhaus angemietet und mit viel Liebe und wenig Geld für kindliche Bedürfnisse adaptiert. Helle Farben, bunte Möbel und weiche Teppiche machen die Schulstube zu einem "Entfaltungsort an dem offenes, selbsttätiges, aktives Spielen und Lernen möglich wird", wie der "Verein für Lebendiges Lernen" seine Aufgaben formuliert. Ein "Ort mit Fehlerkultur", sagt Obfrau Sabine Cappello, selbst BHS-Lehrerin. "Uns geht es nicht um Bewerten und Urteilen, wir stellen die kindliche Individualität in den Mittelpunkt." Erste und zweite Schulstufe werden gemeinsam unterrichtet. In Christiane Rehm haben die Eltern eine Partnerin gefunden, die selbst über die eigenen Kinder zur Reformpädagogik kam.

"Uns hat man die Daten und Fakten hingeknallt: So, und jetzt lern auswendig", erinnert sich Christiane Rehm an die eigene Schulzeit. Natürlich habe sich seither an der Regelschule viel verändert, räumt die 34-Jährige ein. "Meine Tochter Lisa, die jetzt 14 ist, war an einer ganz normalen Volksschule, aber sie hatte sehr offene Lehrerinnen." Wie es ist, wenn man in der Schule selbst entdecken und erforschen kann, erleben Lisas Brüder Jonas (7) und Samuel (9) in Montessori-Klassen. "Sie haben wesentlich weniger Druck, sie lernen aus eigener Initiative", beobachtet die Mutter. Als Lehrerin sagt sie: "Menschliches Lernen entsteht aus Neugier, diesen Entdeckergeist zu wecken ist eine wunderschöne Aufgabe." Rehm hat über die Beschäftigung mit ihren Kindern und deren Freunden die Liebe zur Pädagogik entdeckt und entschloss sich, auf dem zweiten Bildungsweg Lehrerin zu werden. Sehr entgegen kam ihr, dass vor vier Jahren ein berufsbegleitender Lehrgang mit Fernstudienteil angeboten wurde, um den Lehrermangel in Vorarlberg zu beheben. Der Lehrermangel ist längst Vergangenheit. "Ich bin die Einzige aus meinem Jahrgang, die eine Stelle hat." Parallel zum Pädak-Lehrgang, den sie in einem Jahr abschließt, absolviert Rehm die Montessori-Ausbildung. Schule und Lernen bestimmen Alltag und Freizeit. Ist sie nicht in der Schulstube, lernt sie selbst oder begleitet als allein erziehende Mutter ihre drei Kinder.

Schule im Wald

In der Schulstube kann sie mit Kindern arbeiten, die "grundverschiedene Voraussetzungen mitbringen". Drei wechselten aus der Regelschule, einige konnten aus Eigeninitiative lesen, drei wachsen zweisprachig auf, vier sind "Waldkinder" - sie verbrachten ihre Kindergartenzeit im Wald. "Das sind sehr aktive Kinder, die körperlich etwas tun wollen." Deshalb ist einmal pro Woche "Schule" im nahen Auwald. (DER STANDARD, Jutta Berger, Printausgabe, 17.11.2005)