Von Montag bis Freitag täglich eine Stadtgeschichte von Thomas Rottenberg

Auch als Buch: Die besten Stadtgeschichten aus dem Stadtgeschichten – Archiv – zum Wiederlesen & Weiterschenken. "Wiener Stadtgeschichten" mit Illustrationen von Andrea Satrapa-Binder, Echomedia Verlag Ges.m.b.H., ISBN 3-901761-29-2, 14,90 Euro.

Es war vorletztes Wochenende. Und fast haben wir uns geärgert. Weil wir – natürlich – mehr ausgegeben haben, als wir wollten. Aber das ist normal – schließlich ist man als Österreicher ja völlig überfordert, wenn man am Sonntag nicht nur Sightseeing, sondern auch noch Einkaufen kann.

Aber wir sind schließlich kein Ostblockland. Wir waren in Krakau gewesen. Zu dritt. Übers Wochenende. Halb beruflich, halb zum Spaß – und natürlich waren wir den während unserer ersten zwei Lebensjahrzehnten angezüchteten Vorurteilen gegen die Wand gelaufen. Nicht wegen Geschichte und Stadtbild. Schon eher wegen des Alters, der Agilität und der Lebendigkeit der Stadt. Also wegen der Parameter, die sie eigentlich ausmachen.

Beutesack

Irgendwann Sonntagnachmittag waren wir in einem der mit Menschen aus halb Europa und sonst woher bummvollen Kaffeehäuser im Zentrum zwischen unseren Beutesäcken mit ein paar anderen Wochenendstadtbesuchern ins Plaudern gekommen. Woher wir kämen? Wien? Nette Stadt – nur irgendwie verschnarcht. Viel Geschichte und so. Schön, grün und sicher – aber keine Stadt in die man für ein zweites Wochenende kommen würde. Wegen des Sonntags.

Wir schauten ein wenig blöd – und wurden in drei Sprachen aufgeklärt: Wir sollten unser eigenes Städtekurztripverhalten heranziehen. Freitag: Anreise nach dem Job. Flanieren, Abendessen, Nachtleben. Samstag: Touristenprogramm bei Tag, am Abend ausgehen. Sonntag: ausspannen, abhängen, noch ein bisserl Stadt und – bevor es am Abend zurück geht – shoppen.

Ostblockstadt

Nicht aus Notwendigkeit, sondern zum Spaß. Aber Wien, waren sich die zwei Pärchen und der kleine Freundeskreis, die uns und einander da gerade kennen gelernt hatten, einig, sei anders. Wenn man am Sonntag durch die City und über die Hauptstraße (gemeint war die Mariahilfer Straße) schlendere, sei das wie im Ostblock. Nur dass der (wir blickten durch das Fenster auf von Einheimischen und Touristen quirrlig belebte Straßen, in denen jeder Laden geöffnet war) halt längst nicht mehr so sei.

Unsere Kaffeehausbekanntschaften waren gnadenlos: Wenn Wien das Geld von Leuten aus Amsterdam, Berlin, Manchester, Mailand oder sonst woher par tout nicht wolle, werde man in Zukunft – und auch mit den Freunden, die Wien noch gar nicht kennen würden – übers Wochenende eben hierher (gemeint war Krakau, als Beispiel für anderswohin) kommen. Der Geist, das Flair und die Architektur sei schließlich – Kakanien sei Dank – ähnlich. Man könne sich hier wie dort von Fiakern über den Tisch ziehen lassen – werde aber nicht beim Spaziergang nach dem Brunch von der "die wollen mir keine Ware verkaufen, wann geht endlich mein Flieger"-Depression befallen.

Kammeraussendung

Wir nickten höflich – und beschlossen, das für Einzelmeinungen zu halten. Obwohl auch wir anderswo am Sonntag ganz gerne Geld liegen lassen. Und als sich dann im Laufe der letzten Woche Gewerkschaft, Kirche und Kammer wieder einmal darauf einigten, dass Wien auch in Touristenzonen am Sonntag keine offenen Geschäfte brauche, dachte ich, dass die Funktionäre wohl wissen werden, was gut und was überflüssig ist.

Gestern, Sonntag, fragten mich dann ein paar Bobo-Wochenendtouristen nach dem Weg. Wir standen Ecke Kohlmarkt/Graben und kamen ins Plaudern: Wien, waren die beiden Pärchen sich einig, sei ganz ok. Nur am Sonntag halt ein bissi fad. Weil irgendwie tot. Und das fänden sie bizarr: Sie hätten in den letzten paar Jahren etliche Städte für zweieinhalb Tage am Wochenende besucht – aber dass in den zentralen Geschäftstraßen die Läden (und zwar alle) zu waren, sei einzigartig. Eigentlich jenseitig.

Und auch auf die Gefahr hin, meine patriotischen Gefühle zu verletzen: Im Wettstreit um die Empfehlung als Stadt, in der man ein relaxtes und trotzdem volles Wochenende erleben könne, wäre das in ihrem Freundeskreis alles andere als ein Asset. Ein paar Bekannte hätten im Übrigen angekündigt, sich Rat über Wien holen zu wollen. Zur Debatte stünde neben Wien noch eine andere, wenn auch deutlich kleinere Stadt: Krakau.