Österreich hat eine jahrhundertelange Tradition in der Erforschung des Mittelmeeres, eine Tradition, die auch heute mit großem Erfolg weitergeführt wird.

Eine der weltweit größten Gefahren für seichte Meeresküstenbereiche geht von Eutrophierung aus. Es handelt sich dabei um ein Überangebot an Nährstoffen wie Stickstoff und Phosphor, die – meist als Abfluss aus landwirtschaftlicher Düngung – in den Wasserkörper gelangen und dort massives Algenwachstum bewirken. Diese scheiden ihrerseits große Mengen an Schleim aus, den so genannten Meeresschnee.

Wenn die Algen absterben und samt dem Schleimteppich zu Boden sinken, sterben auch die meisten Tiere und Pflanzen darunter ab. Zudem verbraucht die Zersetzung des toten Materials allen Sauerstoff in den tieferen Schichten, was das Problem noch weiter verschärft. Solche Sauerstoffkrisen und das von ihnen verursachte Massensterben von Flora und Fauna haben seit Beginn des 20. Jahrhunderts weltweit, auch in der Adria, deutlich zugenommen.

Beste Voraussetzungen dafür herrschen, wenn sich zum übermäßigen Nährstoffeintrag noch hohe Temperaturen und ruhige See gesellen. Mit zunehmender Tiefe nimmt dann der Sauerstoffgehalt des Wassers deutlich ab, wobei es zu einer stabilen Schichtung des Wasserkörpers kommt. Das bedeutet, dass rasch schwimmende Tiere das Problem durch Flucht lösen können: Fischer erzählen dann von Arten, die sie in Gegenden gefangen haben, wo sie diese sonst nie antreffen. Es kommt auch vor, dass Massen von Fischen sich an der Wasseroberfläche sammeln und nach Luft schnappen, doch festsitzende, langsame und kleinere Arten – Fische wie wirbellose Tiere – auf dem Meeresgrund sind der Krise weitgehend hilflos ausgeliefert. Ihre Flucht- beziehungsweise Überlebensversuche beruhen darauf, die nächsthöhere Wasserschicht zu erreichen, die noch Sauerstoff enthält, und dabei können ein paar Zentimeter schon eine entscheidende Rolle spielen.

So verlassen Tiere, die im Lückenraum des Meeressandes leben, das Substrat, oder es klettern manche auf dem Boden lebenden Krebse auf nahe gelegene Schwämme, um besser atmen zu können. Seegurken und Schlangensterne stellen sich so weit wie möglich auf und versuchen mit ihren Tentakeln eine sauerstoffreichere Schicht zu erreichen. Meeresbiologen der Universität Wien gelang 1974 erstmals die Dokumentation einer solchen Krise in der Nordadria. Michael Stachowitsch vom Department für Meeresbiologie der Fakultät für Lebenswissenschaften der Uni Wien war damals mit dabei und befasst sich seitdem mit der Thematik. Das Problem dabei ist, dass bei den natürlichen Sauerstoffkrisen die Forscher bisher immer erst dazukamen, wenn die Krise schon im vollen Gang oder vorbei war. Beobachtungen des Verhaltens der auf dem Boden lebenden Tiere von Anfang an waren daher nicht möglich. Auch kontinuierliche Messwerte gab es nicht. Im Labor nachstellen lassen sich solche Vorgänge ebenfalls nicht, da die Bodentiere oft Aggregationen aus verschiedenen Arten, wie Schwämmen, Seescheiden, Seeanemonen, bilden – so genannte Bioherme.

Nun haben Michael Stachowitsch, Bettina Riedel und Martin Zuschin (Institut für Paläontologie) mit finanzieller Unterstützung des Wissenschaftsfonds eine Möglichkeit gefunden, Sauerstoffkrisen kleinräumig vor Ort und zur gewünschten Zeit zu produzieren. Zu diesem Zweck haben sie gemeinsam mit Technikern der Universität ein Gerät mit dem Namen EAGU (Experimental Anoxia Generating Unit) entwickelt, das prinzipiell aus einem Plexiglasmantel besteht und eine Grundfläche von 50 mal 50 Zentimetern aufweist. Die komplette Technik steckt in einem abnehmbaren Deckel, der eine Zeitrafferkamera, Blitze, Messsensoren für Sauerstoff, Schwefelwasserstoff und Temperatur sowie ein Datenaufzeichnungsgerät und die nötigen Batterien enthält. Das ganze Gerät kann von zwei Tauchern auf den Meeresgrund gebracht und über der gewünschten Organismenansammlung positioniert werden.

Stachowitsch, Zuschin und Riedel haben die weltweit erste Versuchsanordnung entworfen, die Sauerstoffkrisen direkt unter Wasser untersucht: Auf dem sandig-schlammigen Boden des Golfs von Triest werden verschiedene Biohermtypen zuerst 24 Stunden lang unter normalen Bedingungen beobachtet. Zu diesem Zweck wird der Deckel des EAGU auf einen wasserdurchlässigen Aluminiumrahmen gesetzt. Danach wird der Alurahmen gegen die undurchlässige Plexiglaskammer ausgetauscht. Die daraus resultierende Minisauerstoffkrise wird 48 Stunden lang dokumentiert und aufgezeichnet. Dadurch ist es möglich festzustellen, in welchem Stadium der Sauerstoffkrise die betroffenen Tiere welches Verhalten zeigen.

Unter anderem lässt sich bei diesen Versuchen dokumentieren, ab wann Tiere, die im Boden leben – wie grabende Seeigel, Würmer und Krebse – an die Sedimentoberfläche kommen. Bei natürlichen Sauerstoffkrisen geht diese Information oft verloren, weil diese Organismen bald verwesen oder gefressen werden, sodass sie relativ schnell von der Bildfläche verschwinden. Zusätzlich lässt sich durch die kontinuierlichen Messungen genau sagen, ab wann für welche Art kritische Werte erreicht werden. Zu diesem Zweck wird der Sauerstoff im Wasser in zwei Höhen gemessen: direkt in Bodennähe und 20 Zentimeter darüber. Die Wiener Forscher arbeiten bei diesem Projekt eng mit der Marine Biological Station Piran, Slowenien, zusammen. In der Nähe der ozeanografischen Boje des Instituts haben sie in 23 Meter Tiefe einen idealen Versuchsstandort gefunden, der einerseits die typische Artenzusammensetzung aufweist und andererseits ausreichend Schutz vor den Ankern und Schleppnetzen vorbeifahrender Fischerboote bietet.

Während der ersten vier Wochen seines Einsatzes hat sich der EAGU bewährt und erste Ergebnisse geliefert: Wie sich zeigte, reagieren verschiedene Arten und Artengruppen zu unterschiedlichen Zeiten auf abnehmende Sauerstoffwerte. Das lässt eine Einteilung in sensible, tolerante und resistente Arten zu. Gleichzeitig konnten verschiedene Stress-Verhaltensweisen beobachtet und dokumentiert werden. So verlassen Einsiedlerkrebse ihre Gehäuse und Seeanemonen strecken sich so weit wie möglich aus ihrer Wohnröhre heraus.

Kommendes Jahr geht es wieder für zwei Monate nach Piran, doch zuvor müssen die bisher gewonnenen Daten ausgewertet, die gesammelten Arten bestimmt und der EAGU noch weiter verbessert werden. Letztendlich sollen die Ergebnisse des Projektes, das noch bis 2008 läuft, eine bessere Einschätzung des Status und der Stabilität der auf dem Boden lebenden Gemeinschaften in der Nordadria ermöglichen und damit wichtige Entscheidungshilfen für das Küstenmanagement liefern. (Susanne Strnadl/DER STANDARD, Print-Ausgabe, 12./13. 11. 2005)