Michail Piotrowski, Direktor der Eremitage in St. Petersburg

Foto: STANDARD/ Josef Kirchengast
In der Eremitage ist die russische Monarchie noch lebendig. Nicht nur mit ihrer Blüte und ihrem Ende, sondern auch angesichts der aktuellen Kulturpolitik des Staates.


St. Petersburg/Wien – "Gibt es in Österreich viele Monarchisten?", fragt der gepflegte ältere Herr, der uns durch die Eremitage in St. Petersburg führt. Dass dem unserer Einschätzung nach nicht so sei, findet er so schade wie die Tatsache, dass auch Russland keine Monarchie mehr ist; denn dies entspreche seinem innersten Wesen. Den Präsidenten Wladimir Putin mag er trotz dessen Popularität nicht als Ersatzzaren gelten lassen.

Glanz und Niedergang

Glanz und Niedergang der russischen Monarchie verkörpert die Eremitage in einem. Ihr zentrales Gebäude ist das Winterpalais der Zaren, das die Bolschewiken 1917 stürmten, als Auftakt dessen, was sie Oktoberrevolution nannten. Als eines der größten Kunstmuseen der Welt beherbergt die Eremitage heute rund drei Millionen Objekte. Betrachtete man jedes einzelne auch nur eine Minute, bräuchte man fast sechs Jahre.

Ab Freitag, 11. November, können die Besucher der Eremitage den künstlerischen Glanz einer anderen Monarchie kurz vor deren Ende besichtigen: Die Sonderausstellung "Wien und Budapest in St. Petersburg" zeigt mehr als 450 Bilder, Zeichnungen, architektonische Entwürfe und Beispiele dekorativer und angewandter Kunst aus der Zeit von 1870 bis 1920, vom Historismus bis zur Avantgarde, darunter Werke von Schiele, Klimt, Kokoschka und dem weniger bekannten Ungarn József Rippl-Ronai.

Zahlreiche Leihgaben kommen vom Wiener Kunsthistorischen Museum, zu dem man sehr gute Beziehungen unterhalte, wie Eremitage-Direktor Michail Piotrowski im Gespräch mit österreichischen Journalisten erläutert. Etwas "old style" seien sie, die Kontakte mit der österreichischen Ministerialbürokratie, fügt er schmunzelnd hinzu.

Diesbezüglich mangelt es ihm freilich nicht an einschlägiger Erfahrung. Neuerdings will Moskau, wie in Politik und Wirtschaft, auch in der Kultur seinen Einfluss verstärken. Ein geplantes Gesetz will den Museen die Entscheidungsfreiheit über die selbst erwirtschafteten Gelder nehmen. Im Fall der Eremitage sind das 40 Prozent des Gesamtbudgets, heuer immerhin umgerechnet zehn Millionen Euro, die von Kartenverkauf, Auslandsausstellungen und privaten Spendern kommen.

Das geplante Gesetz stellt kulturelle Institutionen vor die Wahl, sich wirtschaftlich völlig entmündigen zu lassen oder sich zu privatisieren – mit entsprechender Steuerpflicht und dem Risiko, bankrott zu gehen. Praktisch alle Museen haben sich zusammen getan, um das Gesetz zu verhindern.

Lieber zum Millionär

"Ich gehe lieber zu Millionären als zu Ministern und kleinen Bürokraten", sagt Piotrowski. Der Staat habe zwar die Verpflichtung, das kulturelle Erbe zu bewahren. Aber: "In den Bereichen, wo wir selbst wirtschaften und Geld verdienen, brauchen wir viel mehr Freiheit." Generell habe der Staat nur zwei Aufgaben: Kultur und Sicherheit. "Alles andere kann von der Wirtschaft geregelt werden."

Allerdings räumt Piotrowski selbst ein, dass dies dem kulturellen und intellektuellen Klima nicht immer zuträglich sei. "In Russland ist heute Geld das Hauptkriterium für alles. Dabei wird vieles zerstört. Aber Schritt für Schritt verstehen die Leute, dass Geld nicht alles ist. Es ist auch unsere Aufgabe, das zu fördern. Aus der Eremitage werden wir jedenfalls kein Disneyland machen." Ein ermutigendes Zeichen sei, dass die jungen Menschen heute wieder mehr läsen als in den Jahren nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion.

NGOs am wichtigsten

Wie steht es mit einer russischen Zivilgesellschaft, die von vielen als Grundlage echter Demokratisierung gesehen wird? "Am wichtigsten ist es, Stiftungen, Nichtregierungsorganisationen (NGOs), zu gründen, damit die Menschen diskutieren und sich aktiv am öffentlichen Leben beteiligen können." Ist die von Präsident Putin initiierte und vom Parlament per Gesetz beschlossene Bürgerkammer ein geeignetes Mittel dazu? Sie soll den Dialog zwischen Staat und Gesellschaft institutionalisieren und den verschiedenen Gruppen Mitsprache bei der Formulierung neuer Gesetze geben. Piotrowski hält die Idee an sich für nicht schlecht. Entscheiden werde aber die Praxis. Denn: "Das Wort Demokratie allein bedeutet noch gar nichts." (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 11.11.2005)