Foto: Jenafer Gillingham
Wien - Für ein Debüt ist es nie zu spät. Auch wenn man sich dafür mitunter satte 68 Jahre gedulden muss. So alt musste nämlich der amerikanische Trompeter und Komponist Jon Hassell werden, um erstmals Wien mit einem Konzert zu beehren. Und der angebrochenen Konzertsaison eine grandiose leise Klimax zu bescheren. Jon Hassell, das ist jener sensible Geist, der, zwischen vielerlei Genre-Gestühl positioniert, seit den 70er-Jahren enorm einflussreiche Arbeiten vorlegt, von deren Anregungen ein gewisser Brian Eno ebenso zehrte wie Peter Gabriel oder David Byrne. Oder auch ein Nils-Petter Molvaer.

Vollgesogen mit der Musik Weberns, Stockhausens, der Minimalisten LaMonte Young und Terry Riley, aber auch der indischen Hindustani-Schule und des Jazz, entwickelte Hassell schon vor 25 Jahren seine Vision einer klingenden Fourth World, in der Technologien und Traditionen aller Kontinente stimmig auf einen Nenner gebracht werden sollten. Resultat war und ist eine einzigartige Klangsprache, die in ihrer verhaltenen Ökonomie bis heute höchst farbenreich, in jedem Detail bedeutungsgeladen anmutet, wie man sich am Dienstag im Konzerthaus überzeugen konnte.

Ein erdiger Dub-Bass (Peter Freeman) stand da als Fundament im Raum, über dem sich Computertracks und archaische "analoge" Perkussion (Steve Shehan) zu faszinierenden Puls-Kontinuen verwoben und elektronische Sounds (Rick Cox) sowie erinnerungshaft abstrahierte Sample-Elemente zu Soundscapes zusammenfanden, die für manchen allein CD-würdig gewesen wären.

Doch Jon Hassell ist nicht nur geschmackssicherer Choreograf, er ist auch instrumentaler Stilist: In dunklem, warmem, zuweilen Harmonizer-gestütztem Ton ließ er seine lyrische Trompete durch die entschleunigten Klangtableaus mäandern, gleich einer von Pausen durchbrochenen "endlosen Melodie".

Dass er zu Beginn des 75-minütigen, leider zugabenlosen Konzerts das Titelstück der aktuellen CD Maarifa Street (Label Bleu/Lotus) gleich zweimal intonierte - erst in schlanker Instrumentierung, dann in "voller" CD-Version inklusive Samples - war insofern sekundär. Eine musikalische Séance, vielleicht das Konzert des Jahres! (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 10.11.2005)