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Ein von Immigrantenfamilien bewohntes Abrisshaus am Stadtrand von Paris: Hier entsteht der Nährboden für soziale Unruhen - und für multi-ethnische Rap-Musik.

Foto: REUTERS/Franck Prevel
Rapmusik galt zuletzt nur noch als zynisches Produkt, über das man der gesellschaftlichen Ausgegrenztheit hinein ins Wunderland des Kapitalismus entfliehen kann.


Wien - Angesichts eines Gerichtsurteils, das die aus dem Pariser Banlieue Seine-Saint-Denis stammenden Hardcore-Rapper NTM wegen ihrer Texte mit Haftstrafe und Auftrittsverbot belegte meinte das von Immigranten abstammende Duo schon 1995 prophetisch: "Wer uns ins Gefängnis stecken will, der sollte schon einmal größere Zellen bauen, denn nach uns kommen noch viele andere."

Wenn man sich von der Gesellschaft ausgesperrt, nicht integriert fühlt, beginnen sich die Ausgesperrten irgendwann selbst zu gettoisieren. Dies belegen seit Jahren nicht nur US-amerikanische Cultural Studies, sondern auch diverse französische Arbeiten zum Thema. Anhand der "Vorgeschichte" zu den aktuellen landesweiten Ausschreitungen am Rande und zunehmend auch in den Zentren der französischen Großstädte kann man derzeit auch eines gut beobachten. Aus dieser "Auto-Exklusion" (der französische Soziologe Louis-Jean Calvet) entwickeln sich neue und der restlichen Gesellschaft völlig unverständliche Perspektiven.

An den Randzonen entsteht das exklusive Bewusstsein einer "verlorenen Jugend" von aus Immigrantenfamilien aus dem Maghreb ("Les beurs"), aus Schwarz- oder Westafrika ("Les blacks") abstammenden Menschen, die mit dem ohnmächtigen Gefühl aufwachsen, in "zones de non-droit", im Scherbenviertel, zu leben. Aus dem scheint es angesichts von mangelnder Bildung oder Jobs und in Frankreich gerade auch aufgrund der falschen Herkunft und Hautfarbe kein Entkommen zu geben. Damit einhergehend wird gerade diese Ausgegrenztheit auch in der Musik der Immigrantenkinder stolz behauptet.

Es entsteht, das belegen auch diverse Rap-Gruppen wie IAM aus Marseille oder NTM oder Ministére A.M.E.R. aus Paris, allesamt wohnhaft in Vorstädten voller "cages à plusieurs étages", voller "Käfige in mehreren Stockwerken", eine selbstbewusste, sich von der Restgesellschaft abspaltende Stadtviertelkultur (inklusive selbst organisierter Ordnungssysteme wie Jugendbanden).

In der spielen Stolz auf die deklassierte (ethnische) Herkunft und wilde Anarchie gegenüber dem restlichen Sozialgefüge eine wichtige Rolle.

Auch sprachlich grenzt man sich in diesen neuen kulturellen Identitäten mit den für "Normalfranzosen" weitgehend unverständlichen Slangs des "verlan" oder "argot" bewusst ab. Gerade "Eindringlingen" von außen, seien es Polizei, Feuerwehr, öffentliche Einrichtungen wie Kindergärten, Schulen oder Verkehr (siehe auch die brennenden Linienbusse), werden hier von der selbst ernannten "racaille", dem "Abschaum" unserer so genannten Zivilisation, wüst attackiert.

Das alles lässt sich in Rap-Texten aus Frankreichs Vorstädten seit mehr als zehn Jahren wieder und wieder nachlesen. Ebenso sei hier an den das Thema gründlich wie schockierend verhandelnden Kinofilm La Haine (Der Hass) von Matthieu Kassovitz aus 1995 erinnert, zu dem die damals größten Namen des "French Rap" den Soundtrack beisteuerten.

Gegenmodelle

Eines wird aber angesichts der drastischen Fernsehbilder, die uns derzeit täglich in den Nachrichten begleiten, im Zusammenhang mit Rap und HipHop gern verschwiegen. Selbstverständlich geht es abseits von Kriminalität, Drogen, Gefängnis, sinnentleerter Gewalt, Aids, Langeweile oder "post-kolonialistischen Familiendesastern" (Copyright: Süddeutsche Zeitung) nach den brutalen Anfängen dieser dokumentarischen Kunst längst auch um positivere Gegenmodelle.

Aktivisten, darunter auch die zitierten IAM oder MC Solaar und unzählige lokale Initiativen in den Jugendzentren der Banlieues, versuchen ebenfalls seit Jahren mit derzeit geringem, aber doch zunehmendem Erfolg, diese Spirale der Hoffnungslosigkeit aufzubrechen. Stichwort: Pose ton Gun (Leg die Waffen nieder). Netzwerkarbeit, Jugendarbeit, vielfach auch: Hinwendung zum Glauben.

Mag sich der Hass der Jugendlichen vordergründig auch gegen die "westliche Welt" an sich richten, in die man sich nicht integrieren kann oder auch nicht mehr will. Der französische Philosoph Alain Finkielkraut prägte dafür vor einigen Jahren gar den Begriff eines "anti-weißen Rassismus", ohne möglicherweise zu bedenken, dass hier Mitte der 90er-Jahre in erster Linie auch der unerträgliche Rassismus der Front National unter Le Pen mitunter sehr drastisch mit Worten bekämpft und überhaupt gleich mit dem ganzen politischen System Frankreichs gleichgesetzt wurde.

Wie der deutsche Soziologe Dietmar Hüser 2004 in seiner das Thema ausführlich behandelnden Studie RAPublikanische Synthese. Eine französische Zeitgeschichte populärer Musik und politischer Kultur (Böhlau Verlag, Köln/Wien) allerdings weit im Vorfeld der aktuellen Ausschreitungen nachweisen wollte:

Gerade in Zeiten der ökonomischen Krise verlaufen Migrationsprozesse bedrückend langsam. Oft auch ohne scheinbar aktuelle Aussicht auf Erfolg. Hüser warnte diesbezüglich vor allem auch vor einem "fürchterlichen Katastrophismus" seitens der Medien und Politik. Das war, wie gesagt, vor einem Jahr. (DER STANDARD, Printausgabe, 8.11.2005)