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derStandard.at: Die "Neue Aserbaidschanische Partei" von Präsident Ilham Alijew hat die Wahlen gewonnen. Bleibt nun alles beim Alten? Was würde das für die Aserbaidschaner bedeuten?

Heinrich Nach den offiziellen Kommuniques hat die Regierungspartei die Wahlen gewonnen und ist damit trotz der Proteste von Wahlbeobachtern (darunter auch die OSZE) für eine weitere Legislaturperiode zur Regierung legitimiert. Für die einfachen AserbeidschanerInnen wird sich wenig ändern; sie sind durch die häufigen Machtwechsel innerhalb der letzten 10 Jahre desillusioniert und hauptsächlich am wirtschaftlichen Überleben interessiert.

derStandard.at: Schon vor der Wahl ist es angeblich zu "massiven Einschüchterungen" von Anhängern der Opposition gekommen. Könnte es zu Proteste gegen Wahlfälschung oder gar gewalttätigen Auseinandersetzungen kommen?

Heinrich: Auf Grund des geltenden Mehrheitswahlrechtes hat die Opposition kaum legale Möglichkeiten zur Artikulation. Faktisch ist die offene Unterstützung durch die USA die einzige Trumpfkarte der Opposition. Man kann annehmen, dass es Versuche geben wird, über Massendemonstrationen nach dem Vorbild der "Orangen Revolution" in der Ukraine das Regime zu stürzen. In diesem Fall sind gewaltsame Zusammenstöße wahrscheinlich.

derStandard.at: Was sind die Unterschiede in den politischen und gesellschaftlichen Voraussetzungen zu Staaten wie Georgien, wo der Druck der Öffentlichkeit einen Machtwechsel herbeiführte?

Heinrich: In Georgien gab es einen überzeugenden jungen Gegenkandidaten gegen den Repräsentanten eines Regimes, das allgemein als überholt angesehen wurde. Hier wirkte sich auch die US-amerikanische Unterstützung voll aus, weil sie mit einer starken nationalpatriotischen Strömung in der Bevölkerung und bei den Eliten einherging. Diesen starken antirussischen Nationalismus gibt es in Aserbeidschan nicht. Das Land verfolgt eine Schaukelpolitik zwischen Russland und den USA, während Saakaschwili die US-Orientierung als glaubhafte Alternative zur Lösung der Wirtschaftsprobleme und der Frage der verlorenen Territorien anbieten konnte. Die Tatsache, dass Aserbeidschan Öllieferant ist, macht eine solche eigenständige Außenpolitik möglich.

derStandard.at: Aserbaidschan hat durch seine Ölvorkommen wirtschaftlich gute Voraussetzungen. Trotzdem lebt ein großer Prozentsatz der Bevölkerung in bitterer Armut. Warum?

Heinrich: Die Öleinkünfte werden vor allem dazu benutzt, politische Loyalität zu kaufen sowie innere und militärische Sicherheit zu verstärken. Ein realpolitisch mögliches "trickle down", von dem breitere Schichten profitieren, hat bis jetzt noch nicht stattgefunden.

derStandard.at: "Je stärker wir in der politischen Arena besiegt werden, umso stärker werden die Islamisten", sagte Nariman Gasimoglu, ein liberaler Islamgelehrter, der auf einer Oppositionsliste antrat. Wie groß ist die Gefahr der Radikalisierung des Islam in Aserbaidschan tatsächlich?

Heinrich: Aserbeidschan ist noch immer einer der Zentren der tschetschenischen Emigration und eine Basis für ausländische "Wahabbiten", welche die islamische Revolution in den Kaukasus tragen wollen. Im Unterschied von den Nordkaukasischen islamischen Ethnien ist aber der Islam in Aserbeidschan (noch) nicht radikalisiert und war auch bis jetzt keine ernstzunehmende politische Kraft. Radikale islamische Gruppierungen sind vom Mainstream der Opposition und erst recht im Volk marginalisiert. (mhe)