"Jetzt sehen wir erst einmal, ob wir richtig gerechnet haben, und dann unterzeichnen wir auch das Stimmprotokoll", sagt der Leiter der Wahlkommission, tritt von einem Fuß auf den anderen und schwitzt. Dabei scheint die Rechnung, die Sülhaddin Allahverdiew anstellen muss, nicht übermäßig schwierig. Vier Stunden Zählens und wieder Zählens seit Schließung des kleinen Wahllokals im Osten von Baku haben auch nichts am Ergebnis geändert: Aserbaidschans Oppositionsführer Ali Kerimli hat 222 Stimmen erhalten, sein Gegner Ali Garahanow von der Regierungspartei 152. So einfach ist das, und so steht es auch im Stimmprotokoll.

In dieser Wahlnacht in der früheren Sowjetrepublik Aserbaidschan wird allerdings nicht überall einfach gerechnet - erst recht nicht im Wahlkreis von Ali Kerimli, dem Chef der Volksfrontpartei. In mindestens ein Dutzend Wahlbüros stürmte die Polizei, als ruchbar wurde, dass der Oppositionsführer ein Parlamentsmandat gewinnen könnte.

Mitglieder der Wahlkommission in Kerimlis Wahlkreis im Stadtteil Surahane wurden von der Polizei kurzerhand in den Schulgebäuden, wo die Stimmen abgegeben worden waren, eingesperrt; die Stimmzettel verschwanden, zurück blieben Stimmprotokolle, die kein Wahlkommissionsleiter unterzeichnen wollte. Montagvormittag verkündet das Fernsehen schon ein neues Ergebnis: Kerimli scheitert bei den Parlamentswahlen, den Wahlkreis gewinnt Ali Garahanow, von der regierenden Neuen Aserbaidschan-Partei (YAP).

Das Urteil der Wahlbeobachter von der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) fällt scharf aus, denn die offenkundigen Verstöße sind bei weitem nicht auf den Wahlkreis des Oppositionschef beschränkt. 3000 "Vorkommnisse" hätten die OSZE-Mitarbeiter landesweit aus Wahllokalen gemeldet, berichtet am Montag der deutsche Diplomat Geert Ahrens, der die Beobachtungsmission leitet.

"Die gestrigen Wahlen erfüllten nicht eine Reihe von Verpflichtungen gegenüber der OSZE und Standards des Europarats", erklärt deutlicher der US-Kongressabgeordnete und Präsident des OSZE-Parlaments, Alcee Hastings. An dieser Stelle der Pressekonferenz in Bakus Hyatt-Hotel applaudieren die aserbaidschanischen Journalisten und die internationalen Wahlbeobachter, denn die Frustration ist groß. Die von den USA finanzierten Nachwahlbefragungen erwiesen sich zudem als Flop: In den Wahlkreisen der Oppositionschefs wurden sie interessanterweise nicht angestellt; anderswo zögerten die Wähler, sich zu beteiligen.

Demonstrationen

Parteien im Bündnis "Azadlyg" - "Freiheit" - in der ölreichen Republik am Kaspischen Meer dürften nun nach vorläufigen Ergebnissen sogar noch schlechter abschneiden als bei früheren, weithin gefälschten Wahlen. Kerimlis Volksfront könnte nur einen Sitz statt bisher sechs erhalten, die Musavat-Partei, deren Chef Isa Gambar ebenfalls verloren haben soll, vier Sitze; 125 hat das Parlament. Das "Azadlyg"-Bündnis will die Mandate nun gar nicht erst annehmen. Kerimli kündigte Demonstrationen an, bis die Wahl für ungültig erklärt werde. Ob die Aserbaidschaner aber in Stimmung für eine Revolution sind, ist fraglich. (DER STANDARD, Printausgabe, 8.11.2005)