Vorwand Laizität
"Unsere Regierung hat ein Problem mit der Idee der Demokratie im Land", behauptet Ibrahimoglu. Unterstütze ein Muslim das "monarchische System", so sei das in Ordnung, meint der Imam in Anspielung auf Staatschef Ilham Aliew, der 2003 seinem Vater Haidar im Amt nachfolgte; "unterstützt ein Muslim demokratische Ideen, dann ist das ein Problem. Dasselbe gilt hier für Geschäftsleute." Aserbaidschans Regime suche noch nach einem Gleichgewicht zwischen Islam und Staat, meint der Politikwissenschafter Bayram Balci. Sobald Führer der muslimischen Gemeinschaft auf die politische Bühne wollen, halte der Staat das Schild der Laizität hoch, um den Islam zu kontrollieren und seinen Einfluss auf Parlament und Parteien einzudämmen. Dieses Rezept funktioniert natürlich nur eine beschränkte Zeit: Unterdrückt ein Regime zu sehr die politische Freiheit und setzt sich dazu noch dem Vorwurf der Immoralität aus, weil es krasse soziale Ungleichheit und Korruption duldet, haben islamische Prediger Zulauf.
"Je stärker wir in der politischen Arena besiegt werden, umso stärker werden die Islamisten", sagt Nariman Gasimoglu, ein liberaler Islamgelehrter. Gasimoglu kandidierte auf der Liste des Oppositionsblocks "Asadlyg" (Freiheit) in Sumgait, einer Industriestadt auf der Halbinsel Abscheron, eine halbe Autostunde entfernt von Baku. Aserbaidschan habe bereits eine Menge Probleme mit religiösem Fanatismus, sagt Gasimoglu, der jeden Freitag eine Islamsendung im Fernsehen moderiert und selbst Morddrohungen erhielt.
Regierung wie Muslimführer aus den Reihen der Opposition sind sich einig, dass Wahhabiten, streng sunnitische Prediger aus dem Golf und dem benachbarten Tschetschenien, die größte Gefahr für eine Radikalisierung junger Muslime im Land sind. Bakus Abu-Baker-Moschee zählt zu den wenigen sichtbaren Versammlungsorten der Wahhabiten, deren Zahl auf etwa 5000 geschätzt wird.
Vorwiegend Schiiten
Doch "Wahhabit" ist zugleich ein politischer Kampfbegriff, um missliebige Oppositionelle wie etwa Ibrahimoglu auszuschalten, der unter anderem als angebliches Al-Kaida-Mitglied kurze Zeit ins Gefängnis gesteckt wurde - "irgendjemand muss ihnen erklärt haben, dass Ilgar Ibrahimoglu ein Schiite ist und Al-Kaida wahhabitisch", meint der Imam ironisch. Aserbaidschan ist überwiegend schiitisch, aufgrund seiner sowjetischen Vergangenheit aber laizistisch geprägt.