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Foto: apa/epa/Luciano Del Castillo

Den Zustand einer Stadt über seine Souvenirshops zu definieren ist eine lohnende Strategie. Im Falle von Rom auch eine überaus amüsante und einfache. Im Schatten des vatikanischen Nippes steht bis heute das jüdische Viertel jenseits des Octavia-Tores: Ungeschminktes im Innersten der Metropole.

Manche Päpste sind unsterblicher als andere. Das weiß man auch an der Straße zwischen Tiberbrücke und Petersplatz, an der Via Via della Conciliazione, wo sich Roms Ikonen Tag für Tag der knallharten Kitsch-Konkurrenz stellen. Listig lächelnd stecken der alte polnische Haudegen und der noch ein wenig marmorblasse, neue Pontifex aus Bayern die Köpfe zusammen – fast so, als ob sie im ohnehin schon exklusiven Klub der Rom-Souvenirs ein privates Konklave auszutragen hätten.

Daneben steht die kapitolinische Wölfin mit ihren vielen Zitzen stramm. Benediktus Nr. XVI fürs Knopfloch, der Petersdom in Schneekugeln, alles da. Bei Kindern indessen beliebt: ein kleiner Gladiator im roten Umhang, der sich mit erhobener Peitsche schnittig in die Kurve legt. Doch der Top-Seller, sagt der Mann am Nippesstand, ist immer noch er: Johannes Paul, der Zweite.

Dauerbrenner Gesamtpaket: Rom für Religiöse

Ein Dauerbrenner ist freilich auch das Gesamtpaket: Rom für Religiöse. Da können sich die Prada- und Bulgari-Showrooms an der Via Condotti am Fuße der Spanischen Treppe weit hinten anstellen. Die schönen Schuhe und Missoni-Missionare gibt es schließlich auch anderswo. Aber einen Ministaat mit dem größten Museum der Welt?

Wer die gnadenlose Weite des Petersplatzes, dessen hölzerne Besucherbarrieren und ganz zuletzt die langen Menschenschlangen hinter sich lässt, kann sich davon ja leicht überzeugen. Labels auf den ersten Blick auch hier: Säulengalerie von Bernini, ein bisschen Bramante, ein, zwei Tupfer Raffael. Die St.-Peters-Fassade von Maderno, die dazugehörige Kuppel von Michelangelo, alles in der katholisch-eleganten Modefarbe Marmorweiß gehalten.

50.000 Puzzleteile

Doch da beginnt erst der lange Marsch durch die Schatzkammern der Päpste, ein Sieben-Kilometer-Marathon durch die größte Kunstsammlung der Welt, die Vatikanischen Museen. 50.000 Objekte in 14.000 Räumen, aufgeteilt auf ein Dutzend Museen, Bibliotheken und Galerien. Wer hier die Laokoongruppe passiert, sich vor Raffaels Letztwerk "Verklärung Christi" den Farbenflash der Alten gönnt, durch den Saal der lichtscheuen Teppiche eilt und in den Gallerie delle Carte Geografiche gar einen begehbaren Weltatlas betritt, kann gar nicht so viele Kunstschätze links liegen lassen, um in der Sixtinischen Kapelle nicht trotzdem im Stau zu enden. Gut, dass es Michelangelos 1541 endlich vollendetes Monumentalfresko in vatikanischen Gift-Shops als 1000-Teile-Puzzle gibt. Da hat man Zeit, sich zu Hause der Sache noch einmal zu widmen.

Wer zwischen Europas einzigem Gottesstaat mit eigenen Euromünzen und Rest-Rom gemütlich spaziert, darf schon wieder Raffael bewundern. In diesem Fall in Form der knalligen Paradeuniformen der Schweizergarde, die seinen Gemälden nachempfunden wurden. 110 Mann zählt die Schutztruppe, die hier den Papst, vor allem aber ein kleines Paradies bewacht. Ein Steuerparadies wohlgemerkt. Eines mit sensationellen Benzinpreisen an der päpstlichen Zapfstelle und mit Biogemüse hinterm Petersdom, mit Italiens pünktlichster Post, der täglich erscheinenden Vatikan-Zeitung L'Osservatore Romano und einem eigenem Radiosender Radio Vatikan. 900 Einwohner zählt der Vatikan, sechshundert als reguläre Staatsbürger. Der Männerüberhang ist entgegen internationalen demografischen Trends eklatant: Lediglich 25 Nonnen finden hier ihren Platz – und zwar vor allem in der Küche.

Rom – wie Rapid Stein gewordene Religion

Dass Rom wie Rapid Stein gewordene Religion ist, übersieht man aber auch hier nicht leicht. Der vorchristliche Pantheon-Rundtempel, der später von Bonifatius IV zur Marienkirche umgemodelt wurde, beweist dies. Aber auch die ungewöhnliche Shoppingzeile der angrenzenden Via dei Cestari. Traditionsunternehmen wie jenes des Filippo Gammarelli, Schneider des Papstes, machen was her: kardinalrote Mützen und tadellos gearbeitete Monstranzen und Krippenfiguren sonder Zahl. Und sogar den Papst zum Rundlutschen – die Benediktus-Konterfeis in Lollieform, machen die Gasse zur Fifth Avenue des Katholiken-Outfithandels. Römische Heiligkeit wohin man schaut.

Doch die Stadt der ewigen historischen Überwerfungslinien, die sich die Moderne ersparte, weil das ganze Geld ohnehin stets in die Konservierung antiker Schätze floss, kann zwei Blocks weiter südlich noch mehr. Rund um die Via del Portico d'Ottavia ist der Touristenrummel merklich ausgedünnt, sind die Gassen stiller geworden. Wer durch die Via Reginelle zum Tiber hinunterschlendert, passiert fleckige, ungeschminkte Häuser eines nach innen gekehrten Roms.

Versteckt hinter Octavia

Vor Davidsternen geparkte Vespas, das Menü des "Ristorante Kosher – La Taverna del Ghetto" verweisen hier auf das seit über 2200 Jahren im Schatten des Vatikan koexistierende jüdische Rom. Erst recht gilt dies für die seit 1901 hoch neben dem Tiber aufragende Synagoge, Symbol jenes befreiten, selbstbewussten Bauens, das das Ende des jüdischen Ghettos einst markierte.

1555 war dieses auf Betreiben von Papst Paul IV. und hinter hohen Mauern bedrückende Realität geworden. Die Synagoge ist Station der Ghetto-Walks, ebenso wie die einst Ponte dei Guidei ("Judenbrücke") genannte, älteste Tiberbrücke Ponte Fabricio. Eine der tausend Geschichten, die die älteste jüdische Gemeinde des Westens im Laufe der Zeit beschrieben, verrät indessen der stille Winkel der lauschigen Piazza delle Cinque Scole. Fünf Tempel für verschiedene jüdische Sekten fanden sich hier einst – aber nur eine gemeinsame Eingangstür. Mehr als eine wollte der Papst jener Zeit den Juden nicht zubilligen. (Der Standard, Printausgabe 5./6.11.2005)