Die Wonderboys Viktor & Rolf

Foto: Designer

Die Blütenbombe

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Die Welt stand Kopf. Und das im wahrsten Sinne des Wortes. Der Laufsteg befand sich an der Decke, die monströsen Blumenvasen am Beginn des Catwalk waren verkehrt herum aufgestellt. "Upside down" von Diana Ross hämmerte es verzerrt Anfang Oktober aus den Boxen, und spätestens als die Show in den Pariser Tuilerien mit dem Auftritt der Designer begann - also mit dem, womit sie normalerweise endet - war klar: Die holländischen Wonderboys Viktor & Rolf drehen auch in ihrer Frühjahrs-/Sommer-Prêt-à-porter-Show die Welt um 180 Grad.

Für jene, die den erst in diesem Sommer eröffneten, ersten Shop der beiden Designinszenatoren kennen, war das Ganze ein bisschen vorhersehbar - auch wenn es in seiner Konsequenz überraschte. Denn auch im Laden in Mailand klebt die Fußmatte über der Eingangstür, Stühle hängen von der Decke aus Eichenparkett, und ein Kronleuchter wächst aus dem Boden. Eine verkehrte Welt - daran arbeitet das Duo bereits seit Ende der Achtziger - als sich Viktor Horsting und Rolf Snoeren an der Arnheimer Kunstakademie kennen lernten. 1993 gewannen sie den wichtigsten Nachwuchswettbewerb für angehende Designer, jenen im südfranzösischen Hyères, ab 1998 zeigten sie Haute Couture, seit 2000 Prêt-à-porter - ein langsames Vortasten Richtung tragbarer Mode. Lange waren Viktor & Rolf nämlich ein Kunstprodukt.

An der Schnittstelle von Mode und Kunst sind die beiden großgeworden, mit einer Strategie, die sich gleichermaßen an Gilbert und George, dem englischen Happeningduo, als an Siegfried & Roy, den Tigerdompteuren, orientierte. Doch Viktor & Rolfs Arena ist die Mode, ihre Waffen die Kunst und die Popkultur. Mit der Gesellschaft des Spektakels spielen sie, die Spiele der Gesellschaft ironisieren sie. Das hat ihnen gleichermaßen einen Ruf als Komiker wie auch als Intellektuelle eingebracht.

Als sich die Mode dem Minimalismus verschrieb...

... waren die ausufernden Kreationen von Viktor & Rolf so etwas wie die Gegenthese des Betriebs - ohne diesem allerdings zu widersprechen. In den Fußstapfen von Charles Frederick Worth verschrieben sie sich der Haute Couture - und zerlegten sie nach allen Regeln der Kunst - sei es in Form von Abendkleidern als doppelstöckige Oberstorten oder ausladende Atompilze. Gleichzeitig gaben sie der Mode, was ihr die Vertreter des Minimalismus verweigerten: die Show, die Inszenierung, die plüschigen Aha-Effekte. Manche Aktionen und Kreationen wurden gar zu Klassikern - einem Model zogen sie in umgekehrtem Babuschka-Prinzip Outfit über Outfit an, an einen Kragen nähten sie sechs weitere. Viktor & Rolf, das war immer mehr als nur Mode, als sie 1999 die Modeklasse an der Wiener Angewandten übernahmen, war das auch das Problem. Nach der schwarz-blauen Regierungsbildung warfen sie das Handtuch.

Kunst und Kommerz, dieses Verhältnis drehte sich im Laufe ihrer Karriere zwar irgendwann um, das Gesamtkunstwerk Viktor & Rolf aber blieb erhalten. Die Inszenierung als stets gleich (oder ähnlich) gekleidetes Tandem war und ist für die mittlerweile 35-jährigen Jungs imagebildendes Konzept - das unterscheidet sie maßgeblich von anderen Modecouples. Diese Performancequalitäten interessierten irgendwann auch die Vermarktungsstrategen: Als der Kosmetikgigant L'Oréal zum ersten Mal nach 19 Jahren einem Designer wieder ermöglichte, einen eigenen Duft zu erschaffen (damals war es Giorgio Armani gewesen), fiel die Wahl auf Viktor & Rolf - obwohl deren Amsterdamer Betrieb nicht gerade zu den großen Playern der Branche gehört. Doch der Name Viktor & Rolf birgt ein großes Versprechen, eines, das Marketingstrategen normalerweise erst mühsam basteln müssen: die perfekte Corporate Identity.

Ein Disneyland für Intellektuelle, das ist das Image, in das auch Flowerbomb hervorragend passt. Als der Duft Anfang dieses Jahres in Paris präsentiert wurde (nach Österreich kommt er erst jetzt), da war das ein Lancierungs-Event, wie man es in dieser Opulenz schon Jahre nicht mehr gesehen hat: 50 dunkle Motorradfahrer verwandelten sich im Laufe einer gigantischen Modeschau in 50 filigrane Elfen. Eine Metamorphose, die für jeden zu haben ist. Ihre Sperrigkeit haben Viktor & Rolf schon vor Längerem abgelegt, die Zeiten, als sie noch ein Parfüm herausbrachten, das man nicht öffnen konnte, sind schon lange vorbei. Mittlerweile spielen die Konzeptkünstler auf und mit dem großen Markt. Und der Markt ein bisschen mit ihnen.

Die Blütenbombe

Eine Handgranate oder doch ein geschliffener Kristall? Wie in der Mode von Viktor & Rolf treffen auch im Duft "Flowerbomb" die Gegensätze aufeinander. Ein Flakon, der sich nicht festlegen will, ein Neologismus, der ganz Unterschiedliches verbindet, ein Duft, den die Macher als "romantisch, aber explosiv, glamourös, aber mit Hirn" bezeichnen. Wie auch immer, fest steht, dass Flowerbomb anfangs nach Tee und Bergamotte riecht und die Herznote nach Jasmin, Cattleya-Orchidee, Freesien und Rosen. Sämtliche Facetten eines Blütenbouquets habe man ausgeschöpft, erklären die Nasen. Der Duft ist opulent, floral und äußerst intensiv. Nichts für Zartbesaitete. Aber das waren Viktor & Rolf noch nie. (Stephan Hilpold/Der Standard/rondo/04/11/2005)