Frankfurt/Main - In die Europäische Zentralbank (EZB) ist Bewegung gekommen. Zum ersten Mal seit über zwei Jahren überbieten sich die Notenbanker mit Hinweisen auf eine bevorstehende Zinserhöhung. Mit sorgenvoller Stimme und scharfen Worten warnen sie vor den anhaltend hohen Ölpreisen und der Inflationsgefahr im Euro- Raum. Nur höhere Zinsen könnten steigende Preise und hohe Lohnforderungen verhindern, lautet das Argument. Die Tür für einen Zinsschritt ist weit geöffnet.

Die Sitzung an diesem Donnerstag (3.11.) verspricht spannend zu werden. In hitzigen Diskussionen dürften die Notenbanker sich darauf einigen, wann sie die Zinswende einläuten. Auch wenn die EZB am Donnerstag nicht handeln wird, erwarten einige Volkswirte diesen Schritt bereits für Dezember. Die Mehrheit der Experten rechnet aber Anfang 2006 damit. Im nächsten Jahr sollen die Zinsen laut Vorhersagen auf 2,5 bis 2,75 Prozent steigen. Seit Juni 2003 liegt der Leitzins unverändert bei 2,0 Prozent.

"Die Rhetorik alleine reicht nicht mehr aus"

Die Bank habe genug Argumente, um zur "Zinswaffe" zu greifen und eher früher als später die Zinsen zu erhöhen. "Die Rhetorik alleine reicht nicht mehr aus", sagt der Deutschland-Chefvolkswirt der Citigroup, Jürgen Michels. "Die EZB muss jetzt konkrete Schritte machen, um glaubwürdig zu bleiben."

Erstens sind die Währungshüter besorgt, dass die Ölpreise über steigende Löhne die Inflation antreiben. Die Teuerungsrate rutscht einfach nicht mehr unter die magische Zwei-Prozent-Schwelle, bei der die Bank die Preise für stabil hält. Auch im Oktober betrug die Rate im Euro-Raum 2,5 Prozent. Das könnte die Tarifverhandlungen in Richtung höhere Lohnabschlüsse beeinflussen. "Es setzt sich die Meinung durch, dass die EZB nicht nach, sondern bereits vor übermäßigen Lohnerhöhungen handeln muss", sagt Volkswirt Stefan Bielmeier von der Deutschen Bank.

Zweitens sind die Konjunkturaussichten besser geworden, die Stimmung hellt sich bei Firmen und Verbrauchern auf. Sobald die wirtschaftliche Erholung Inflationsdruck andeutet, muss nach Ansicht der Geldpolitiker gehandelt werden. Und drittens steigt die umlaufende Geldmenge schon seit Jahren weit stärker als der Referenzwert erlaubt. Günstige Kredite lassen das Geldangebot rasant wachsen und könnten zu steigenden Preisen führen. Das Gegenmittel lautet: höhere Leitzinsen. Sie verteuern Kredite für Verbraucher und Firmen und bremsen die Nachfrage ab.

Erste große Bewährungsprobe für Trichet

EZB-Präsident Jean-Claude Trichet steht nun vor seiner ersten großen Bewährungsprobe. Seit genau zwei Jahren ist Trichet "Kapitän der Rugbymannschaft" (Zitat Trichet). In seiner Amtszeit hat der Notenbank-Präsident die Zinsen unverändert gelassen - und hat dafür einige Schelte einstecken müssen. Vor fast einem Jahr begann die EZB, verbal eine Zinserhöhung vorzubereiten. Doch die Verschlechterung der Konjunktur ließ sie vor diesem Schritt zurückschrecken. Politiker forderten gar eine Zinssenkung und überschütteten die Bank mit Vorwürfen, die Wirtschaft abzuwürgen. "Die Geldpolitik der EZB ist viel zu lax. Die Bank ist zu zögerlich", kritisiert Thorsten Polleit, Volkswirt von Barclays.

Eine Zinserhöhung wird kein leichter Gang für die politisch unabhängige EZB. "Die Bank wird verbale Attacken aushalten müssen, die größer sind als bei einer Zinssenkung", sagt Analyst Bielmeier. Bundeswirtschaftsminister Wolfgang Clement (SPD) hat bereits verlangt, die Notenbank müsse die "mangelnde Wachstumssituation im Euro-Raum im Auge behalten" und die Zinsen unverändert lassen. (APA/dpa)