Hurra! Aus dem Epizentrum der deutschen Koalitionsverhandlungen sind bahnbrechende Einigungen zu vermelden: Die Kronzeugenregelung soll wieder eingeführt werden. Und Ökostrom wird weiterhin gefördert.

Damit kein Missverständnis aufkommt: Reformen im Justizbereich sind wirklich zu begrüßen - ebenfalls, dass sauberer Strom auch unter einer Kanzlerin Angela Merkel in Deutschland eine Chance hat. Dennoch zeigt die Zwischenbilanz nach der ersten Halbzeit schwarz-roter Koalitionsverhandlungen in Berlin: Den Weg ins Kanzleramt versperren Merkel noch ziemlich dicke Brocken. Haushalt 2006 heißt der eine. Haushalt 2007 der nächste. In der entscheidenden Frage - wie man 35 Milliarden Euro einsparen kann, ohne das Volk völlig gegen sich aufzubringen - bewegen sich Union und SPD im Schneckentempo.

Es war schon klar, dass Union und SPD einander nicht vor Freude um den Hals fallen werden, als sie beschlossen, eine Koalition einzugehen. Aber dass von den Koalitionsgesprächen in den ersten beiden Wochen so wenig Aufbruchsstimmung ausgeht, ist doch erschreckend.

Das liegt vor allem an der desaströsen finanziellen Lage Deutschlands. Union und SPD können kaum politisch gestalten, sie müssen zunächst den Notstand verwalten und den Etat sanieren. Es gibt kein Geld für große Offensiven. Weder kann der Staat zigtausende Kindergartenplätze schaffen, noch die Bürger mit einer wirklich umfassenden Steuerreform beglücken.

Es ist nicht lustig, so wenig Spielraum zu haben. Noch weniger Spaß machen Koalitionsgespräche, wenn die künftigen Partner die entscheidenden Probleme mit völlig konträren Maßnahmen lösen wollen. Die SPD möchte den Spitzensteuersatz von 42 auf 45 Prozent anheben, die Union selbigen von 42 auf

39 Prozent senken. Wo, bitte, kann hier der Kompromiss liegen - außer im wenig fortschrittlichen Fazit: Na gut, dann bleibt halt einfach alles, wie es ist? Und schon ist man bei jenem Stillstand, dessen Ruch jeder großen Koalition vorauseilt.

Ähnlich ist es im Bereich Gesundheit: Die Union will für alle gesetzlich Versicherten eine gleich hohe Kopfpauschale einführen. Die SPD hingegen sagt: Wir möchten, dass alle Versicherten den gleichen Prozentsatz ihres Gehalts einzahlen. Wie aber sollen bei so gegensätzlichen Vorstellungen das Weiß auf der einen und das Schwarz auf der anderen Seite einen zukunftsweisenden Kompromiss in Grau ergeben?

Der Frust, mit einem ungeliebten Gegenüber anstatt mit dem grünen beziehungsweise liberalen Partner zusammengehen zu müssen, drückt beiden Seiten aufs Gemüt, und das wirkt sich auch auf die innerparteiliche Harmonie aus. Weder Merkel noch Münte^fering können eine solche derzeit vorweisen. Die angehende Kanzlerin hat den CSU-Vorsitzenden Edmund Stoiber im Nacken, Müntefering den linken Parteiflügel - schwierig zu beantworten, welches das kleinere Übel ist.

Stoiber übertrifft mit seinem Machtanspruch locker den scheidenden Gerhard Schröder und bringt vor allem Unruhe in die Verhandlungen. Was den Zuschnitt seines "Super-Wirtschaftsressorts" betrifft, hat Merkel ein rasches Machtwort gemäß ihrer Richtlinienkompetenz angekündigt. Deutschland wartet. "Münte" geht es nicht viel besser. Er will seinen treuen Vasallen Kajo Wasserhövel zum Generalsekretär machen.

Dieser soll für geräuschlose Abläufe in der SPD sorgen, während Müntefering in der Regierung als Vizekanzler und Arbeitsminister kämpft. Doch immer mehr Sozialdemokraten wünschen sich die linke und weniger angepasste Andrea Nahles als "Generalin". Und sie ist zu einer Kampfabstimmung am Parteitag im November bereit, was Münte^fering den Start als Vizekanzler verleiden würde.

So viel Mühsal und so viel Frust schon während der ^Koalitionsverhandlungen. Wie wird es Merkel und Müntefering erst ergehen, wenn sie dann wirklich an der Regierung sind? (DER STANDARD, Printausgabe, 29.10.2005)