In der Grazer St.-Andrä-Kirche wurde viel Raum für zeitgenössische Kunst geschaffen. Im Bild die Säule und der Altar aus Spiegelsplittern des Künstlers Gustav Troger.

Foto: Troger
Graz - "Ziehet ihr Glocken hinauf auf den Turm und kündet uns nie mehr Kriegessturm", beginnt ein Gedicht, das die 14-jährige Therese Silly 1935 aufsagte, als nach dem Ersten Weltkrieg neue Glocken in den Turm der Kirche St. Andrä im ehemaligen Grazer Arbeiterbezirk Gries gezogen worden waren. Doch der nächste "Kriegessturm" wurde schon vier Jahre später entfesselt, und die Glocken wurden nur sieben Jahre später wieder eingeschmolzen. Frau Silly hat das Gedicht nie vergessen, und so trug es die rüstige 84-jährige bei der Glockenweihe am diesjährigen Nationalfeiertag ein zweites Mal vor.

Als Mittwochabend die erste, kleinste und hellste der vier Glocken läutete, wurde es still in der Menge, die sich mit dem Blick nach oben auf dem Rasen neben der Kirche versammelt hatte. Auch Anrainer traten an ihre Fenster und lauschten gespannt in die warme Herbstluft hinaus. Denn aus diesem Kirchturm war über 60 Jahre kein Ton gekommen. In beiden Weltkriegen wurden seine Glocken zweckentfremdet und zu Kriegsgerät eingeschmolzen, zuletzt 1942 "bei einer Nacht-und-Nebel-Aktion", weiß Pfarrer Hermann Glettler.

Für mutige Frauen Mit der Weihe von vier neuen Glocken am Mittwoch, erhalten auch zwei mutige Frauen, die beide von den Nationalsozialisten umgebracht wurden, "ihre" Glocke. Denn Kirchenglocken werden immer Heiligen oder anderen großen Persönlichkeiten gewidmet. Die 550 Kilogramm schwere, zweitkleinste Glocke von St. Andrä, zieren eine jüdische Menora und ein Kruzifix. Sie erinnert an die 1942 in Auschwitz getötete, vom Judentum zum Katholizismus konvertierte Heilige Edith Stein und an die selig gesprochene Ordensfrau Maria Restituta, die ebenfalls 1942 von den Nazis umgebracht wurde, weil sie Widerstandsgedichte verfasst hatte.

In Graz ließ die St.-Andrä-Kirche in den vergangenen Jahren auch ohne Glocken viel von sich hören. Pfarrer Hermann Glettler hat sie optisch und inhaltlich erneuert. Der studierte Kunsthistoriker räumte zeitgenössischen Künstlern in der im 17. Jahrhundert erbauten Kirche ihren Platz ein: Funkelnder Mittelpunkt ist der Altar aus Spiegelsplittern von Gustav Troger. Auch die in ein hohes Fenster eingebaute Glastüre von Markus Wilfling, die direkt in den Himmel führt und die von Otto Zitko mit Flammen-Graffiti verzierte Andreas-Kapelle sind Blickfänge.

Ein Zuhause fand bei Glettler auch die "African Catholic Community", die hier regelmäßig mit Steirern den Gottesdienst feiert. Am Nationalfeiertag wurde auch das "Andrä Foyer" eröffnet, das künftig im Schatten des Kirchturms als multikultureller Treffpunkt die Türen offen halten wird. (Colette M. Schmidt, DER STANDARD - Printausgabe, 28. Oktober 2005)