Angelika Kirchschlager: "Es ist seltsam: Es gibt ganz unsympathische Musiker, die dann ganz wunderbar musizieren. Eigentlich schwer zu verstehen."
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Wien - Verfolgt fühlt sich Angelika Kirchschlager nicht. Nicht von Hosenrollen, auf die sie spezialisiert zu sein scheint, und auch nicht von Sophie, die sie an der Volksoper interpretiert und die sie wieder zur Oper Sophies Choice (von Nicholas Maw) zurückbringt. Die Salzburger Mezzosopranistin war Sophie schon bei der Londoner Uraufführung. Und sie war auch in Berlin diese Frau, die nach Auschwitz deportiert wird und im Lager entscheiden muss, welches ihrer beiden Kinder - Jan oder Eva - sie freiwillig hergibt.

Des Operninhalts wegen ist Sophie allerdings schon eine Rolle, die emotionell wirkt - und nachwirkt. "Ich habe die Oper nicht gekannt, aber ich hätte wohl alles gesungen, um mit Simon Rattle in London zu debütieren. Ich musste eine Videokassette nach London mit Ausschnitten meiner Arbeiten schicken und wurde eben genommen. Die Rolle ist nicht sehr erfreulich. Als ich nun einen Monat in Berlin für Proben war, war ich richtig deprimiert und mutlos."

Es bedeute auch eine große physische Anstrengung. "Ich bin dreieinhalb Stunden ohne Pause auf der Bühne. Alle Rollen, die ich gemeinhin singe, machen mich fröhlich. Das kann man hier nicht behaupten - es geht immer bergab."

Komplexität

Es klinge zwar alles harmonisch. "Aber rhythmisch ist das komplex! Man ist da mitunter wie ein Tauber, der sich an den Schlägen des Dirigenten orientiert. Seine eigenen Sachen schafft man. Aber man verliert leicht den Gesamtüberblick." In London war Gott sei Dank Rattle zugegen. "Bei der ersten Orchesterprobe habe ich mehr oder weniger keinen Einsatz erwischt, war total verzweifelt."

Kirchschlager hat "erwartet, dass Rattle unterbricht, er hat aber beinhart weiter dirigiert. Ich habe dann auf der Bühne angefangen, gegen Dinge zu treten, weil ich nicht mehr konnte, er hat mich durch den ersten Akt durchgejagt! Später meinte er: 'Mach dir keine Sorgen, du wirst wundervoll sein'." Sie war es wohl, und kein Wunder auch, dass die Zusammenarbeit mit Rattle für Kirschschlager, die einst über die Wiener Kammeroper und Graz eine mittlerweile globale Karriere startete, bald bei den Salzburger Osterfestspielen weitergehen wird - bei Pelléas und Mélisande.

Ideale Rolle

"Irgendwie komisch: Ich wusste immer schon, dass Mélisande meine Rolle ist, auch wenn ich sie nicht wirklich kannte. Den Debussy-Klang hatte ich natürlich im Ohr. Jetzt, da ich die Rolle studiert habe, hat es sich bestätigt. Und wieder mit Rattle zu arbeiten, ist toll. In London habe ich erst bemerkt, was für ein Potenzial er hat, was er musikalisch bewirken kann."

Sie müsse sich also "noch mehr bemühen, damit er mit mir etwas anfangen kann. Dabei ist er immer auch menschlich. Aber es ist seltsam: Es gibt ganz unsympathische Musiker, die dann ganz wunderbar musizieren. Eigentlich schwer zu verstehen." Wie toll die Arbeit nun auch geraten mag, in Hinkunft will Kirchschlager bei der Oper leiser treten und sich mehr dem Lied widmen.

Da kommt zwar noch Idomeneo mit Seiji Ozawa im Theater an der Wien. Und auch Carmen rückt näher, wobei "Carmen seit drei Jahren kommt und geht und nun wieder näher gerückt ist. Aber ich sag jetzt nichts Konkretes, vielleicht geht sie dann wieder weg." Jedenfalls wird es mehr Liederabende geben - "die sind ruhiger, Oper ist schon ziemlich aufregend und anstrengend. Da geht so oft etwas schief. Das Kostüm passt nicht, das Licht blendet, man fühlt sich nicht wohl, hat mitunter gar keinen Souffleur, der Dirigent kann schlecht sein, die Regie mitunter auch." (Ljubisa Tosic, DER STANDARD, Print, 24.10.2005)