Auch den Dosen musste zum Durchbruch verholfen werden, Fertiggerichte galten nicht immer als gesellschaftsfähig.

Foto: ÖVG
Als das Buch vorgestellt wurde, begann die Autorin Martina Pecher mit einem Kapitel Industriegeschichte, das 2003 zumindest im Süden Wiens ein Ende nahm. Die "Konservenfabrik" Inzersdorfer in der Bundeshauptstadt sperrt zu, hieß es damals, als der neue oberösterreichische Inzersdorfer-Eigentümer Vivatis (Raiffeisen) 100 Prozent des Wiener Traditionsunternehmens von den Familien Pecher und Voith kaufte.

Die frühere AMF (Marken wie "Maresi" und "Landhof") hatte im Zuge des Kaufs beschlossen, die "Inzersdorfer Nahrungsmittelwerke" bis März 2004 schrittweise in die oberösterreichische Landeshauptstadt Linz zu übersiedeln. Die Erzeugung von Fertiggerichten wurden von Inzersdorf zum Fertiggerichte-Hersteller "Gourmet" nach St. Pölten verlagert. In Wien gingen Arbeitsplätze verloren. In Oberösterreich wurden neue geschaffen.

Als vieles zu Ende ging

Das Ende dieses Kapitels ist naturgemäß traurig. Es erzählt von leeren Hallen, übriggebliebenen Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen. Vielfach solchen, die der Firma ihr ganzes Leben lang verbunden waren, und zu diesem Zeitpunkt vielleicht für immer ihren Job verloren. Es kommen Maschinen vor, die physisch nicht mehr ihren Platz einnehmen aber auch akustisch gähnende Leere hinterlassen.

Kleine Marotten von einzelnen Mitgliedern des einst großen Interessensverbandes erstehen - in der Rückschau liebevoll - vor Auge und Ohr der Leserschaft. Auch wenn es nicht immer das Beste war, so war es doch das Bekannte, das verloren ging - und zwar für alle Beteiligte. So menschlich geht es auch in Firmen zu - die Autorin scheut sich nicht, solche und vergleichbare Zwischentöne einfließen zu lassen.

Eine wohltuende Abwechslung in der Welt der Wirtschaftsbücher, deren einzelne Vertreter oft genug glauben machen wollen, alles sei möglich, würde es nur professionell genug angegangen. Und alles sei planbar, sofern die richtigen Strategien zum Einsatz kämen etc.

130 Jahre

Diese Zwischentöne sind es wohl auch, die das Buch so kurzweilig und lesenswert machen. Nicht nur das reichhaltige Material, die vielen Fakten, Anekdoten, Geschichten sind es die -trotz der recht branchenspezifischen Materie - durchaus auch branchenferne Leser und Leserinnen bei der Stange zu halten vermögen.

Zwischen Industrie-Geschichte und Familiensaga scheint das Motto von Martina Pecher gewesen zu sein. Gewürzt mit allerlei Brancheninsiderwissen serviert sie mehr als ein Jahrhundert in Variationen: 130 Jahre heimische Lebensmittelindustrie, Ernährungskunde, Werbung, Unternehmertum.

Sie streift dabei die Herausforderungen eines EU-Beitritts, die großen und kleinen wirtschaftlichen Katastrophen, die Sorge um die Bilanzen, die kleinen und großen Kämpfe zwischen dem Management, die Welt der Patriarchen, die den Entritt einer Frau in die obere Liga mit Misstrauen beäugen.

Und sie erzählt, was eine Konsumpleite 1995 für einen Zulieferer bedeutete, welchen Gegenpart man in einer Behörde finden konnte, was Globalisierung für einen Familienbetrieb bedeutete, wie es sich mit dem zunehmenden Einfluss von Handelsriesen wie Spar und Billa lebte und warum Franz Antel am Szegediner Krautfleisch - dessen Name übrigens auf einem Irrtum beruht - verdient.

Fazit

Das Buch "Das Dosenwunder - Die Inzersdorfer Nahrungsmittelwerke zwischen Familie und Globalisierung" von Martina Pecher entstand unter anderem aufgrund des reichhaltigen Materials, das am Ende einer Firmenära übrig bliebt und sie wusste es einzusetzen und auszuwerten.

Wer sich Industrie-Geschichte und Familiensaga in Wort und Bild in drei Stunden hineinziehen möchte, der liegt mit dem grafisch und typografisch spannend gestaltetem Werk genau richtig. Erschienen ist das Buch in der Österreichischen Verlagsgesellschaft, als erstes der neuen Reihe: Unternehmen in Österreich. Auf weitere darf man sich durchaus freuen. (rb)