Foto: Viennale
"Black Dragon Canyon", das Langfilmdebüt des US-Regisseurs Jay Keitel, setzt in der spektakulären Landschaftskulisse Utahs ein archaisches Rachedrama an: Ein Endspiel auf den Western.


Die Umrisse der Berge von Utah sind vor jeder menschlichen Gestalt da. Bedrohlich dunkel überragen sie das Flachland, in grobkörnigem Schwarzweiß gedreht, in imposantem Cinemascope kadriert, was ihren Dimensionen die entsprechende Präsenz verleiht. Lange passiert nichts, die Einstellung ist im Wartemodus. Dann erkennt man in der Tiefe des Bildes einen Reiter, der langsam immer näher kommt. Er trifft auf eine junge Frau, die an einem erloschenen Feuer rastet. Sie führen einen knappen Dialog, in dem die Pausen länger als die Sätze sind.

Jay Keitels Spielfilm "Black Dragon Canyon", den die Viennale in der Reihe "Propositions" als Beispiel eines "Neuen Kinos" zeigt, wirkt wie ein Western, der gegen sich selbst gerichtet ist. Nur auf den Landschaften haften hier noch die Eindrücke vergangener Auseinandersetzungen dieses prototypischen amerikanischen Genres. Es gibt keine Grenze mehr, an der sich eine Zivilisation ausrichten könnte, auch kein Versprechen auf Freiheit hinter dem Horizont. Die Landschaft entfaltet sich darin wie ein Skelettraum – so hat Gilles Deleuze einmal die räumliche Struktur des Post-Westerns bezeichnet, der aus einem organischen Ganzen lauter heterogene Teile macht.

Im Zwischenraum

Die Erzählung ist dementsprechend fragmentarisch. Ein Zitat aus Dantes "Inferno" über einen tobenden Drachen steht dem Film leitmotivisch voran. Die junge Frau vom Beginn, das erfährt man später indirekt, ist auf der Suche nach dem Mörder ihrer Mutter. Doch Keitel legt dieses Rachedrama keineswegs als kausales Geschehen an. Vielmehr situiert er seine Protagonisten in statischen Tableaus und baut dabei die Zwischenräume der Handlung aus: Der Moment, wenn die Sonne hinter einem Bergrücken verschwindet, steht so etwa gleichberechtigt neben dem Ausdruck der Trauer der Frau.

"Black Dragon Canyon" gleicht einem zerdehnten Westernfinale, einem abstrakten Endspiel, in dem die Figuren viel zu erschöpft sind, um die Standardsituationen noch durchzustehen. Das Duell, die zentrale Einstellung des Genres, fehlt, und die Schüsse fallen immer aus dem Hinterhalt. Keitel hat kein Interesse an Aktionsabläufen. Körper filmt er öfters angeschnitten, bisweilen in Obersicht, sodass sie sich nur selten von der Landschaft loszulösen vermögen, eher von dieser umschlossen erscheinen.

Der Raum versperrt sich in "Black Dragon Canyon" so letztlich auch jeder Dramatisierung. In Gus van Sants Verwirrspiel "Gerry", der auf die selbe Topographie setzte, verliefen sich die beiden männlichen Figuren so lange in der Wüste, bis daraus ein elementarer Überlebenskampf wurde. Bei Keitel gibt es keine Gelegenheit mehr für ein vergleichbares existenzielles Schauspiel. Vom Western stehen hier nur noch die Kulissen, in denen das stilisierte Rachestück wie ein fernes Echo nachhallt.

Peter Tscherkasskys "Instructions for a Light and Sound Machine", der gemeinsam mit "Black Dragon Canyon" gezeigt wird, geht in die entgegen gesetzte Richtung: Er öffnet ein Fenster in Sergio Leones "The Good, The Bad and The Ugly", und aus diesem Blick wird ein Projektil, das die Bewegungs- und Aktionsmuster des Westerns noch einmal derart dynamisiert, dass alle Bildbestandteile nicht nur erschüttert werden, sondern auch ihr sinnliches Potenzial offenbaren. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 22./23.10.2005)