Foto: Viennale
Der koreanische Filmemacher Hong Sangsoo dreht seit zehn Jahren anspruchsvolle intellektuelle Verwirrspiele. In "Tale of Cinema" wendet er seinen skeptischen Blick auf das eigene Metier – das Kino entsteht aus männlicher Konkurrenz.


Yongsil und Sangwon haben einander seit zwei Jahren nicht mehr gesehen. Ihre Begegnung in den Straßen von Seoul ist zufällig, und sofort ist die alte Spannung zwischen ihnen wieder da. Sie fühlen sich stark zueinander hingezogen, aber sie finden keine Form für ihre Beziehung. "Soll ich deine Geliebte sein?", fragt Yongsil. Beim Sex fügt Sangwon ihr Schmerzen zu, zum Verkehr kommt es aber nicht. Ist er zu müde, zu gehemmt, zu sehr mit sich selbst beschäftigt?

Das hoffnungslose Paar einigt sich schließlich auf eine gemeinsame Selbsttötung. Sie ziehen von Apotheke zu Apotheke, besorgen sich Schlaftabletten, wachen gegenseitig darüber, dass der Partner den Medikamentencocktail auch trinkt, und dann fallen sie betäubt um. In Hong Sangsoos "Keuk Jang Jeon" ("Tale of Cinema") ist dieser Akt nicht das letzte Wort. Dazu sind die Geschichten des koreanischen Regisseurs zu vertrackt.

Es kommt bei ihm häufig vor, dass ein Erzählfaden nach einem Drittel eines Films einfach endet, während die Geschichte an anderer Stelle wieder anfängt, und erst allmählich klar wird, dass es da eine untergründige Verbindung gibt. In "The Power of Kangwon Province" (1998) sind es zwei Mädchen, die an einen bekannten Urlaubsort reisen, dort ziellos ein wenig herumstreunen, mit einem Polizisten trinken. Eines der Mädchen beginnt eine Affäre, die Freundin macht ihr deswegen bittere Vorwürfe. Wenig später setzt Hong Sangsoo mit der Figur eines arbeitslosen, verheirateten Universitätsprofessors neu an, und man muss genau hinhören, um die Verbindung zu dem Mädchen des ersten Teils herzustellen: Nur am Rande macht Hong Sangsoo deutlich, dass eine unglückliche Affäre zwischen dem Professor und dem Mädchen das Motiv für die Handlungen der Figuren in "The Power of Kangwon Province" ist.

Diese impliziten Begründungen gehen manchmal auch auf frühere Filme zurück, denn ein Universitätslehrer mit Beziehungsproblemen stand schon im Mittelpunkt von "The Day the Pig Fell Into a Well" (1996), der auch auf der Viennale zu sehen war. Selbstmitleid und neurotische Beziehungen sind ein zentrales Thema bei Hong Sangsoo. Manchmal wirken seine Filme allerdings, als wollte er vor allem bestimmte Konstellationen der westlichen Moderne in der modernen koreanischen Kultur etablieren.

Frankophilie

Er arbeitet selbstreflexiv, insofern er bevorzugt von Intellektuellen oder Künstlern erzählt, die wiederum mit ihren schwierigen Beziehungen die Probleme ihrer Tätigkeit spiegeln. Mit seinen verschachtelten Temporalitäten erinnert Hong Sangsoo ein wenig an Alain Resnais. Tatsächlich sind heute seine Verbindungen zu Frankreich von großer Bedeutung. Seine Filme sind Koproduktionen, sein Umgang mit Schauspielern ist deutlich an Vorbildern wie Rohmer oder Rivette geschult.

Dabei war Frankreich nicht sein primärer Bezugspunkt. Nach einem Studium in Korea ging er in die USA, später arbeitete er für das koreanische Fernsehen (dort war er zum Beispiel für eine Serie über Schriftsteller und ihre Bestseller verantwortlich). Er gilt als der repräsentative koreanische Auteur, nimmt man einen bestimmten Typus Kunstkino als Norm.

In "Tale of Cinema" ist die Struktur insgesamt symmetrisch. Das Mädchen Yongsil fungiert als Bindeglied zwischen zwei Erzählteilen, die dadurch integriert sind, dass Yongsil im ersten Teil "sie selbst ist", während sie im zweiten Teil als Schauspielerin auftritt, und ihr Filmpartner als Regisseur, der an einer schweren Krankheit leidet.

Bei einem Abendessen kommen die Kolleginnen und Kollegen seines Jahrgangs an der Filmhochschule zusammen, um Geld für ihn zu sammeln. Yongsil kommt dazu, und wird danach obsessiv von einem Freund des Regisseurs verfolgt, der sich einbildet, der Kurzfilm, der den ersten Teil von "Tale of Cinema" bildet, erzähle eigentlich seine Geschichte – allerdings in einer Entstellung. Dieses Verwirrspiel mit Abbildung und Authentizität treibt Hong Sangsoo so weit, dass er manche Szenen nahezu identisch, aber mit anderen Protagonisten wiederholt.

Speziell die sexuelle Begegnung wird zu einer Form der Einverleibung eines Rivalen. Während der Filmemacher, dessen kreative Potenz offensichtlich gebrochen ist, von einer Krise in die nächste fällt (und sich selbst stark mit dem Thema Selbstmord beschäftigt), geht der vitale Kollege durch die Stadt und ist mit seinem triumphalen Überleben so beschäftigt, dass ihm gar nicht auffällt, dass er sonst nichts vorzuweisen hat. Yongsil ist die Beute dieser wechselseitigen Besetzungen.

Hong Sangsoo ist der Ironiker, der die Funktionen des Filmemachens vor sich ausbreitet, sie individualisiert, mit Schicksalen und Affekten versieht und dann wieder dekonstruiert. Die Virtuosität, mit der er das tut, erklärt, warum er ein Liebling der französischen Cinephilie geworden ist. Er sieht sein eigenes Land mit dem Blick des Fremden – Privileg und Tragik des Intellektuellen. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 20.10.2005)