Foto: gemeinsache leben
Wien - Im Jahr 2005 feiert ganz Österreich und ist aufgefordert zu "gedenken". Die Politik ergeht sich in offiziösen Akten, einzelne ihrer Mitglieder gedenken der Täter/innen statt der Opfer. "Was ist ganz Österreich?", fragen Menschen, deren Lebensweisen und Geschichte in der staatstragenden Version nicht vorkommen.

Erstmalig wird derzeit durch den Verein Ecce Homo eine Großausstellung zum Thema der Lebenswelten von Lesben und Schwulen im 20. Jahrhundert erarbeitet. Oft mussten die Menschen lebenslang Schweigen über die eigene Sexualität und in vielen Fällen auch über die Liebe. Staat und Gesellschaft zwangen Homosexuelle entweder ins soziale Abseits oder "into the closet", in das Geheimhalten des eigenen Liebeslebens. Der Rechtsstaat brachte diese Menschen in den Kerker, die Psychiatrie und das Operationszimmer, der NS-Staat auch in die Lager und in den Tod. Die Gesellschaft trieb sie in die Isolation, die Verzweiflung und den Selbstmord.

Bis heute glauben zahlreiche Lesben und Schwule, ihre sexuelle Orientierung, ihre Lebenspartner/innen, ihre Freund/innen, geheim halten zu müssen. Die Ablehnung ihrer Existenz durch den Staat, also durch das Strafgesetz, die rechtliche Diskriminierung im Zivilgesetz sowie das nur halbherzige Eingestehen des staatlichen Fehlverhaltens durch den widersprüchlichen Opferstatus, aber auch die Ablehnung durch Teile der Gesellschaft, prägt sie nach wie vor. Vor 100 Jahren wäre diese Ausstellung ebenso unvorstellbar gewesen wie noch in den 1970-er Jahren.

Die schwule/lesbische Geschichte als Gesamtheit ist in- und außerhalb der schwul/lesbischen Kultur ein weißer Fleck auf der historischen Landkarte der Bundeshauptstadt.

Und dennoch: Es gab Räume des Eigensinns, der offenen Sinnlichkeit und des ausgesprochenen Begehrens. Über und unter der sichtbaren Topografie der Stadt entstanden kulturelle und subkulturelle Zeugnisse von Lesben und Schwulen im Wien des 20. Jahrhunderts. Diese Bereiche wurden in das Konzept aufgenommen und teilen die Ausstellung in vier Räume:

Das Labor

Politik, Justiz, Medizin, Religionen, Sozialwissenschaften brachten ebenso wie Kunst, Literatur und Medien ihre Ideen über den homosexuellen Menschen an die Öffentlichkeit: Sichtweisen, die je nach Standpunkt Sünde, Verbrechen, Krankheit oder Asozialität mit der Leibe zum eigenen Geschlecht verknüpften. Der Nationalsozialismus radikalisierte diese Stereotype und behandelte Homosexualität "als Seuche am Volkskörper". Erst in den letzten Jahrzehnten verbreiteten sich auch moderne Bilder von Lesben und Schwulen, die auch in hohem Maß von ihnen mitgeprägt wurden.

Die Stadt

Was war ein lesbisches oder schwules Ereignis in einer Großstadt des 20. Jahrhunderts? Wenn die umschwärmte Marlene Dietrich in Wien gastierte oder wenn sich zwei im Schutz der Subkultur kennen und vielleicht lieben lernten? Oder wenn der erste tapfere schwule Mann eine Kleinanzeige aufgab, um eine Homosexuellen-Organisation zu gründen? Große und kleine Mosaiksteine der verschiedensten Lebenswelten treten zu Tage, Spuren des Ruhms und des Scheiterns, der Kultur und Subkultur. Ein Flanieren durch das Wien des 20. Jahrhundert und seine mehr oder weniger bekannten Schauplätze.

Der Spiegel

Homosexualität war durch das ganze 20. Jahrhundert im österreichischen Recht diskriminiert. Bis 1971 brachte die Polizei Lesben und Schwule vor Gericht, von wo sie oft den Weg in den Kerker oder ins Gefängnis antreten mussten. In der NS-Zeit konnten Konzentrationslager, Kastration, medizinische Versuche, Folter und Ermordung die Folgen des Erwischt-Werdens sein. Bis heute hat die Zweite Republik nicht alle rechtlichen Diskriminierungen beseitigt.

Die meist lebenslange Geheimhaltung der eigenen Sexualität, des Liebens und des Lebens diente dem Schutz der bloßen Existenz und wurde dennoch für viele selbstverständlich. Die Homosexualität selbst schützte nicht davor, auf Seiten der Täter/innen zu stehen, doch sie verhalf unter Umständen schnell auf die Seite der Opfer. Die Ausstellung zeigt Dokumente aus dem Leben von Menschen, deren Innerstes nach außen gekehrt worden ist, in deren Betten und Nachtkästen gewühlt wurde und deren wohl intimstes Geheimnis – ihre von der Gesellschaft verachtete Liebe und Sexualität – öffentlich verhandelt wurde.

Die Leidenschaften

Nur wenige österreichische KünstlerInnen machten ihr gleichgeschlechtliches Begehren zum Inhalt ihrer Kunst. Doch oft wurden Identität, Androgynität, Sexualität und Pornografie zum Zentrum der künstlerischen Auseinandersetzung, manchmal wurden Stil und Stilisierung Mittelpunkt der Kreativität. Obsession, Fetisch oder Selbstdarstellung als Hoffnung und Verzweiflung der vermeintlich "Betroffenen", als ihre Suche nach dem Glück, nach der Liebe und nach ihrer Identität.

Neben Werken namhafter KünstlerInnen wie Anton Kolig, schwuler Fotografen von Gloeden bis Antony Gayton, Malerinnen wie Helene von Taussig oder der Fotografin Krista Beinstein wird in diesem abschließenden Teil der Begriff von Leidenschaften sehr weit gefasst. So werden auch Privatsammlungen vorgestellt, in denen oft nicht der unmittelbare Wert des Objekts, sondern die Liebe zu diesem im Zentrum steht, seien es nun Messer oder Schuhe einer besonderen Machart.

Das Projekt wird vom Kulturamt der Stadt Wien, dem Wissenschaftszentrum Wien, der Wien Marketing GmbH sowie dem Nationalfonds der Republik Österreich unterstützt. (red)