Wien - "Die Wienblogs übertreffen alle unsere Erwartungen", ist sogar Gerlinde Hinterleitner von derStandard.at erstaunt - obwohl sie hohe Zugriffszahlen sonst kaum noch aus der Fassung bringen können. Doch die ersten politischen Wahlkampf-Tagebücher und die Kommentare von Roman David-Freihsl zur Wienwahl auf derStandard.at haben inzwischen die 110.000-Grenze an Zugriffen deutlich übersprungen.

Was Hinterleitner weiters begeistert: "Nicht nur dass die User derart mitmachen - sondern vor allem, dass Ulli Sima, Johannes Hahn und Maria Vassilakou trotz des Intensivwahlkampfs derart eifrig schreiben." Kein Wunder - wissen sie doch gut genug, wie sie die wunden Punkte der Gegner treffen können - und gleichzeitig damit vergleichsweise einfach ein breites Publikum erreichen.

Selbst beschlossen

Wenn etwa Umweltstadträtin Ulli Sima (SPÖ) das Umweltprogramm der Wiener Grünen zerpflückt und erläutert, dass viele Forderungen darin schon längst erfüllt seien - wie etwa die Verpflichtung von Dieselpartikelfilter für Baumaschinen. Oder der geforderte "Beitritt der Stadt Wien zum Netzwerk der gentechnikfreien Regionen - wurde bereits am 29. Juni einstimmig (mit den Stimmen der Grünen) im Landtag beschlossen". Wenn Derartiges erscheint, geht es sofort rund auf derStandard.at, da wird gepostet, was das Zeug hält. Wobei natürlich ein Gutteil der Beiträge eindeutig der entsprechenden Parteimotivation zuzuordnen sind.

Doch Waffengleichheit ist durchaus gegeben. Wenn etwa die Grüne Maria Vassilakou berichtet, dass die "unabhängigen Wiener Linien" das Mieten einer Grünen Wahlkampf-Bim vereitelt hätten, wird dies ebenso heftig diskutiert, wie beispielsweise auch das Grüne Wahlkampfthema "Grundsicherung", mit dem Spitzenwerte bei den Beiträgen erreicht wurden.

Ein Packerl für Ulli

Oder Johannes Hahn, der als ÖVP-Spitzenkandidat die Wiener Verhältnisse mit Oberösterreich vergleicht, der berichtet, wie 5000 Teddybären für mehr Kindergartenplätze streiken. Einmal wirft Sima Hahn vor, er sei "käuflich", weil er seine "Gio"-Devotionalien verkauft - im nächsten Beitrag verkündet der VP-Kandidat bereits, dass er der SP-Stadträtin gerne ein gratis Packerl vorbei schicken werde.

Natürlich wird weit gehend einschlägige Propaganda verbreitet. Doch trotz der derzeit in Wien weithin grassierenden Wahlkrampf-Verbissenheit schlägt immer wieder der Humor durch (zwar meist wenn es um die anderen Parteien geht, aber immerhin). "Im schönen Burgenland gelten 5,2 Prozent bereits als Stabilisieren auf hohem Niveau", ätzte Hahn etwa in Richtung Grüne. Ulli Sima wiederum schreibt über "Huberts Bleifuß" oder den "Onkel vom Land" (Landeshauptmann Pühringer).

Niveaukontrolle

All dies wird ausführlich und heftig hin und wieder her diskutiert. Wobei durchaus auch eine Niveau-Selbstkontrolle der User stattfindet. Wird ein gewisses Level unterschritten, sind rasch Reaktionen wie: "Unterste Schublade scheint für dich kein Problem. Finde es toll wie niveauvoll du auf das Thema eingehst, man sieht du hast echt gute Argumente. Persönliche Untergriffe sind ja wirklich schlagkräftige Argumente, oder?"

Manches, was in diesen "Wienblogs" erscheint, zieht allerdings auch erstaunlich weite Kreise: Als Roman David-Freihsl in einem Kommentar berichtete, dass einem Kind bei einer SP-Veranstaltung die gratis Würstel verweigert worden seien - gab es umgehend Telefonate aus höchsten SPÖ-Kreisen. So gab es nicht nur Entschuldigungen beim Vater - sondern auch die eine oder andere Einladung auf extra Frankfurter. (red/DER STANDARD, Printausgabe, 15./16.10.2005)