Michael Völker ist Ressortleiter der Innenpolitik von DER STANDARD. Er führte das Interview mit Alexander Van der Bellen, das Auslöser für den aktuellen Streit zwischen Rot und Grün war.

foto: standard/cremer
derStandard.at: Wirkt sich der Streit zwischen Rot und Grün auf die Wien-Wahl aus? Wer gewinnt/wer verliert dadurch?

Völker: Es besteht der Verdacht, dass dieser Streit sorgfältig inszeniert worden ist. Zumindest von Seiten der Grünen. Der SPÖ ist das nur passiert, eigentlich ist sie den Grünen in die Falle getappt. Die Grünen hoffen, durch diese Auseinandersetzung ihre Sympathisanten und eben die angesprochenen rot-grünen Wechselwähler mobilisieren zu können - was in der Tat einzutreten scheint. Damit könnte es gelingen, die negative Tendenz, die nach den Landtagswahlen im Burgenland und in der Steiermark entstanden ist, umzudrehen.

Insbesondere, dass auch die Kronen-Zeitung in dieses Thema eingestiegen ist, hilft den Grünen. Erstens: Große Berichterstattung und mediale Präsenz. Zweitens: Negativschlagzeilen in der Krone helfen den Grünen bei ihren Wählern immer, das mobilisiert die Leute erst recht.

Der SPÖ kommt das aber auch nicht ganz ungelegen, immerhin bietet es die Chance, sich zu positionieren und jedenfalls in einem an Themen armen Wahlkampf noch einmal ein paar Argumente in die Öffentlichkeit zu stellen.

derStandard.at: Könnte es auch den Effekt haben, dass die beiden Parteien die Aufmerksamkeit auf sich lenken und ÖVP bzw. FPÖ dadurch Stimmen verlieren?

Völker: Für die ÖVP und insbesondere die Wiener ÖVP ist dieser rot-grüne Streit ein Horror, da er sehr viel Aufmerksamkeit abzieht. Die ÖVP wird medial viel weniger wahrgenommen. Ihre schadet dieser Pseudo-Konflikt jedenfalls.

Die FPÖ ist davon weitgehend unberührt, ihr Sympathisantenkreis interessiert sich für diese Thematik schlicht nicht. Ich bin davon überzeugt, dass die FPÖ in Wien besser abschneiden wird, als ihr das derzeit vorausgesagt wird. Im Schatten anderer Debatten ist es HC Strache gelungen, seine Themen unter das Volk zu bringen - und die Themen sind, kurz gesagt, Ausländerfeindlichkeit in allen Facetten. Das kommt bei einem Teil der Wähler leider immer noch gut an und mobilisiert die Leute. Schlichte und klare Botschaften, die ankommen.

derStandard.at: Ist diese Auseinandersetzung also eher als wahltaktisches Manöver zu bewerten oder bewegen sich Rot und Grün wirklich auseinander?

Völker: Wie gesagt, ich sehe das in erster Linie als wahltaktisches Manöver der Grünen, und das war durchaus geschickt eingefädelt.

SPÖ und Grüne bewegen sich nicht wirklich auseinander, obwohl es natürlich ein paar grundlegende Unterschiede gibt. Die SPÖ hat zwar tatsächlich die Sozialkompentenz, das bestätigen ihr auch alle Umfragen, in der Frage der Ausländerpolitik gehen sie aber einen ganz anderen Weg als die Grünen, da lässt sich die SPÖ in erster Linie von Umfragen leiten. Bestes Beispiel ist die Zustimmung zum so genannten Fremdenpaket der Regierung (inklusive der Möglichkeit der Zwangsernährung hungerstreikender Schubhäftlinge), die von reinem Populismus - gestützt natürlich auf entsprechende Umfragen - getragen war. Da können die Grünen nicht mit.

derStandard.at: Die Grünen sagen, links neben der SPÖ sei sehr viel Platz – Wieviel Platz ist links neben den Grünen?

Völker: Links von der SPÖ ist tatsächlich viel Platz, links der Grünen aber auch. Die Grünen sind zwar bemüht, diese Flanke abzudecken, aber auch die Grünen haben ihre Umfragen - und hören darauf. Die letzte große Umfrage der Grünen hat etwa ergeben, dass innerhalb der Grünen Wählerschaft und ihres Sympathisantenkreises die Zahl derer, die sich Schwarz-Grün vorstellen können, deutlich angestiegen ist. Und die Zahl derer, die einer Koalition mit der ÖVP grundsätzlich negativ gegenüberstehen, abgenommen hat. Dieses Umfrageergebnis hat man doch jüngst recht deutlich aus ein paar Aussagen grüner Spitzenpolitiker herausgehört, oder? Vassilakou über Schüssel etwa.

derStandard.at: Könnte hinter dem Streit auch eine Neupositionierung und Abgrenzung der linken Parteien zu einander stehen. Formiert sich "die Linke" angesichts eines steigenden WählerInnenpotenzials neu?

Völker: Ich sehe ehrlich gesagt keine "Linke". Die KPÖ ist das sicher nicht, sie ist auch zu schwach und zu sehr in ihrer eigenen Befindlichkeit verhaftet, das interessiert niemanden. Ernesto Kaltenegger ist da die Ausnahme, aber er ist eben eine Einzelerscheinung. Die KPÖ hat - abgesehen von Kaltenegger - die Persönlichkeiten nicht, die eine breitere linke Bewegung tragen könnten. Außerdem ist der linke Rand untereinander viel zu sehr zerstritten und auf sich selbst konzentriert, als dass daraus eine breite Basis entstehen könnte. Also werden die Linken weiterhin SPÖ oder Grüne - oder gar nicht - wählen.

derStandard.at: Ist die Ausgangslage der Grünen in Wien besser als sie es in der Steiermark oder im Burgenland war?

Völker: Für die Grünen schaut es in Wien in der Tat besser aus, vor allem auch, weil sie personell viel besser aufgestellt sind. Sie haben eine gute Spitzenkandidatin (was man von der Steiermark nicht behaupten kann), und auch in der zweiten Reihe stehen einige profilierte Persönlichkeiten. Außerdem sind die Bundespolitiker in Wien viel stärker präsent. Die Grünen haben in Wien eine echte Chance, Zweiter zu werden. Dennoch ist das Wählerpotenzial beschränkt. Der Deckel liegt österreichweit bei 15 Prozent, in Wien vielleicht einen Hauch drüber.