Jetzt also Tiere. Endlich im Design angelangt, wo sie den Menschen eine Menge Arbeit abnehmen. Wir haben Kühen beigebracht, Pflüge zu ziehen, Hunde suchen nach verschütteten Lawinenopfern, und Ratten erschnüffeln nach entsprechender Abrichtung Minen im Boden. War es also nicht langsam an der Zeit, Hund, Katze, Maus auch bei der Gestaltung unserer Bleiben mitwirken zu lassen? So geschehen beim schwedischen Designerinnenquartett namens "Front", das sich mit schrägen Ideen und seinem "Design by animals" in die Herzen einer Szene emporgearbeitet hat, die es mehr denn je nach Neuem dürstet.

Bilder & Fotos: Frontdesign/Katja Kristoferson und Anna Lönnerstam

Sofia Lagerkvist, Charlotte von der Lancken, Anna Lindgren und Katja Sävström heißen die vier jungen Kreativen, die sich beim Studium an der renommierten "Konstfack" in Stockholm zusammentaten und "neu" und "avantgardistisch" arbeiten wollten - daher die Bezeichnung des Kollektivs: Front. Und das kann durchaus auch als Ansage an das Establishment verstanden werden.

Seit Sommer 2004 haben die vier ihr Diplom in der Tasche und sind seitdem auf dem besten Weg, zu Schwedens bekanntesten Nachwuchsdesignern zu werden.

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"Schwedische Dadaisten", titelt die Presse, "Grenzgänger zwischen Design und Installationskunst", doch um derlei Urteile schert sich Front wenig, sondern ruft lieber im Interview mit dem Lifestyle-Organ Wallpaper unbekümmert "Hässlichkeit" zum Trend des Jahres aus.

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Und noch viel lieber grübeln sie über spielerischen Ansätzen, um neue Wege im Design zu betreten. Nicht von ungefähr nennen die vier Damen Marcel Wanders, Hella Jongerius and den schwedischen Designer Thomas Bernstrand als Vorbilder: Weil diese es schaffen, den Gebrauch von Objekten zu überdenken und die Sichtweise zu ändern, mit der man herkömmlicherweise Dinge betrachtet - und designt. Deshalb auch die tierische Hilfe.

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Den großen Vorteil der Fauna als sprudelnde Inspirationsquelle für ihr Design erklärt Front so: Anders als Designer kennen Tiere keine betriebswirtschaftlichen Regeln, an die sie sich halten müssen. Kein Kunde geht ihnen mit seinen Wünschen auf den Geist, es existiert kein Kostendruck, der von vornherein bestimmte Ideen ausschließt, und es gilt auch nicht, einen Markt zu erobern.

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Dafür verfügen sie über eine ganze Menge Eigenschaften, die sich Front für ihr "Design by animals" zunutze gemacht haben. Das knabberwütige Nagetier durfte ausgiebig seine Zähne an Tapetenrollen schärfen - und somit ein neues Tapetendekor schaffen, ...

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... das buddelnde Kaninchen ward aufgefordert, Gänge zu graben, deren Form Vorlage für eine Leuchte wurde.

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Weiters wand die Schlange ihren Leib um weiche Zylinder aus Ton, um Muster für Garderobenhaken zu wälzen.

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Und die von Helligkeit angezogene Fliege durfte so lange brummend ihre Bahnen um die Glühbirne ziehen, bis man ihre Flugbahn mittels Echtzeitbewegungserfassung (Motion Capture) im Computer aufgezeichnet hatte. Per 3-D-Scanner in ein Kunststoffmodell übertragen, ergeben die fliegerischen Leistungen einen Lampenschirm, der so manchen Klassiker in den Schatten stellt. Die Birne wird bei dem guten Stück weniger beschirmt als umzingelt - ein Beispiel für Fronts Gratwanderung zwischen Kunst und Design.

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Eine Herangehensweise wie diese erforderte bei den Designerinnen vor allem eines: völliges Vertrauen in den Zufall. Und zugleich stehen hinter den jenseits von Plan und Ratio entstandenen Tierdesigns technische Höchstleistungen, wie Motion-Capture und 3-D-Scans oder, bei anderen Designs wie der Stehaufmännchenlampe, Bewegungssensoren: Diese veranlassen die einknickbare Leuchte dazu, sich wie eine Giraffe entweder hinzulegen oder aufzurichten.

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Hightech auch bei Fronts Interior-Projekt in Stockholms Kunstgalerie Tensta Konsthall: Dort reagiert der graue Bodenbelag auf Wärme und Bewegung - und offenbart bei jedem Schritt mehr von der goldenen Farbe, die unter dem Grau aufgetragen ist. Ebendarin liegt auch die Faszination ihres Designs: Natur und Technik, Zufall und Berechnung, menschliche Logik und tierische Wildheit vereinen sich in tatsächlich neuen Objekten.

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Diese wirken allesamt sympathisch unbekümmert und erzählen eine wunderbare Geschichte von der Interaktion zwischen Mensch und Umwelt. So ist es denn auch der Antrieb der Front-Frauen, zwischen den Menschen und ihren Objekten Beziehungen herzustellen, die mehr sind als reines Benutzen.

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Frech, aber nicht ohne Respekt tobten sich die vier Damen vom Design im Rahmen ihres Projekts "Design by Morph" aus. Sie fütterten ihren Computer mit den Daten des klassischen Panton-Chair, mixten diese mit den Maßen des Sessels Tom Vac von Ron Arad und kreierten so ein völlig neues Sitzmöbel, das seine Schöpferväter dennoch nicht abstreiten kann und dies wohl auch nicht will.

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Doch zum Zuge kommen bei Front nicht allein Tiere und Stardesigner. Im Rahmen ihres Projekts "Story of things" wollen Front der Frage auf den Grund gehen, wie der Begriff "Daheim" eigentlich definiert wird. Im Rahmen dieser Geschichte wollte die Truppe von mehr als 100 Landsleuten wissen, was deren Beziehung zu bestimmten Alltagsobjekten ausmacht.

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Front geht es dabei darum, Geschichten von Gegenständen wieder zu erzählen, die in ganz bestimmten Situationen ins Leben ihrer Besitzer traten. Dafür wurden einige der ausgesuchten Stücke in rotem Plastik reproduziert und mit jenen Worten bedruckt, die dem Besitzer des jeweiligen Objekts zu diesem einfielen. Die neu entstandenen Objekte werden über den gesamten Globus verteilt, ihre neuen Hüter sind in der Folge aufgefordert, Fotos und Geschichten vom Schicksal des jeweiligen Objektes nach Schweden zu schicken.

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Die schwedischen Designerinnen lassen's in jeder Hinsicht krachen in der Szene. Der Glaube an die schöpferischen Kräfte des Zufalls lässt Front sogar zu Dynamit greifen: In den Schnee einer Winterlandschaft gesteckt und, bumm, zur Explosion gebracht, hinterließen die Dynamitstangen beachtliche Löcher im Schnee.

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Was die vier Damen damit anstellten? Sie übersetzen die Form des Kraters in einen Lounge-Stuhl: Design in 0,4 Sekunden. Und da soll jemand sagen, es sei alles schon einmal da gewesen.
(Mareike Müller, Michael Hausenblas, DER STANDARD, rondo/14/10/2005)

www.frontdesign.se

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