Foto: G. Wasserbauer

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Die luftige Halle des Ra'mien in der Wiener Gumpendorfer Straße ist nicht nur Hauptquartier der Konsum-Intelligenzia der Stadt, sondern auch das mit Abstand gelungenste Pan-Asia-Restaurant zwischen hier und Berlin. Das liegt an der Küche, die authentische Aromen nicht scheut, aber auch am Service: Auf bemerkenswerte Weise wird hier entspannt und aufmerksam bedient - von Menschen, die einen als Person wahrnehmen und ohne eingelernte Gastro-Floskeln einfach guten Service bieten. Die Architektur vermittelt abseits spleeniger Designerei (die in anderen Asia-Lokalen von der mittelmäßigen Küche ablenken soll) großzügige Modernität und clevere Raumorganisation.

Dennoch ist es schwierig, hier ohne Reservierung einen Tisch zu ergattern. Als vor einigen Monaten der Küchenausstatter nebenan (ja, der mit dem Killer-Teigquirl im Schaufenster!) umzog, entschied sich Ra'mien-Chef Yang Tie nach einigem Kopfzerbrechen zu vergrößern. Dass richtig große Lokale eine eigene Dynamik entwickeln (oder eben nicht), musste Ties Bruder Yang Jun erst kürzlich mit dem (leider in Konkurs gegangenen) Ra'an in der Währinger Straße erfahren.

Die schlichte Lösung, das Erfolgsrezept des Ra'mien auf die zusätzliche Fläche zu erweitern, kam eh nie in Frage: "Coole Asia-Lokale gibt es schon einige", sagt Tie, "wir wollten uns wieder mit unserem Erbe auseinander setzen." Conrad Kroenke und Tzou Chieh-shu, Architekten von "Studio 9005", sahen das ähnlich. So fuhr man erst einmal nach China. Südwestlich von Schanghai wurden traditionell geschnitzte Tische, Stühle und Paneele geordert, die nun im betont kühlen, schwarz in schwarz gehaltenen Lokal stehen.

Von der Decke baumeln Laternen, deren schummriges, Glück verheißendes, rotes Licht auf der verspiegelten Wand zu einem entrückten Lichtspiel multipliziert wird: sehr stimmungsvoll, sehr exotisch, ganz und gar unwienerisch. Im Souterrain wird es richtig intim. Auch hier leuchten Laternen, in mächtigen Bassins verströmen Räucherstäbchen betörende Schwaden, kleine Alkoven und Separees laden zum noch besseren Kennenlernen ein. Noble Opiumhöhlen im Schanghai der Jahrhundertwende darf man sich wohl durchaus ähnlich vorstellen.

Das ist, natürlich, kein Zufall. Schließlich heißt das neue Lokal "ShanghaiTan", nach dem chinesischen Namen für den kolonialen Prachtboulevard "The Bund" in Schanghai. Die Kombination aus Kultur, verruchter Eleganz und weltläufiger Kreativität, die Schanghai zur Jahrhundertwende prägte, hat eben nichts von ihrer Attraktionskraft eingebüßt - was sich in Clubs wie den beiden "China Whites" in London und Glasgow oder dem "China Club" in New York nachprüfen lässt. Doch während in jenen schicken Hütten das Essen, wenn überhaupt, nur nebenbei läuft, versteht sich das "ShanghaiTan" eindeutig als Restaurant. Ein Hauptthema sind Dimsum, die gedämpften Taschen, Knödel und Rollen aus hauchzartem Reis- und deftigem Germteig. Die wird man hier werktags bis zwei, wochenends gar bis vier Uhr früh ordern können. Der gedämpfte Tintenfisch-und Garnelenknödel verdient eine besondere Empfehlung, ebenso die Kristalltaschen aus faschiertem Schweinefleisch, reichlich Ingwer und knackigen Wasserkastanien.

Wie im Ra'mien kommt der Nudelsuppentopf auch hier zu Ehre, diesmal aber in der japanischen Udong-Variante mit sehr guten Weizennudeln und leichtem, aromatischem Fond. Bei den Toppings kann zwischen Huhn, Rind, Meeresfrüchten, Gemüse oder, besonders köstlich, gebratener Ente gewählt werden. Wie gemacht für lange Nächte sind auch die Saté-Spieße, mariniertes Fleisch vom Huhn, Schwein, Rind und Lamm, das neben der unvermeidlichen Erdnusssauce auch eine richtig unterhaltsame Kräuter-Chili-Fischsauce zur Seite gestellt bekommt.

Spätes Essen wurde in Wien schon bislang kaum unterstützt, jetzt sind mit Salz & Pfeffer und Café Drechsler zwei der wenigen Bastionen weggebrochen - da ist es umso erfreulicher, dass das inspirierte "ShanghaiTan" in die Bresche springt. Durchaus aus egoistischen Gründen: "Ich wusste einfach nicht mehr, wo ich spätabends noch was Ordentliches zu essen bekomme", sagt Tie, "da hab' ich mir's eben selbst organisiert". (Severin Corti/Der Standard/rondo/7/10/2005)