Peter Palese erhielt am Montag das Österreichische Ehrenzeichen für Wissenschaft.

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Spanische Grippe 1918 in Bordeaux. US-Soldaten begleiten den Leichnam eines in der Quarantänestation gestorbenen Kameraden zum Sammelplatz für die Grippetoten.

Foto: US-Museum of Health and Medicine
Wien - Die Kritik an seinen Forschungen nimmt Peter Palese gelassen. Den Tod zum Leben erweckt zu haben berge schließlich die Möglichkeit, künftig Leben zu retten - durch vermehrtes Wissen.

Wie berichtet, hat der US-Mikrobiologe (Mount Sinai School of Medicine, New York) mit Kollegen das tödlichste aller bisherigen Viren rekonstruiert: den Erreger der Spanischen Grippe, die 1918/19 weltweit bis zu 50 Millionen Menschen getötet hat - zu den prominentesten Opfern gehört der österreichische Maler Egon Schiele, der nur drei Tage nach seiner Frau der Influenza Typ H1N1 erlag.

Nun ist der danach plötzlich verschwundene Killer wieder da - in einem Labor der US-Centers for Disease Control and Prevention (CDC) in Atlanta. Für Kritiker unverantwortlich: Was, wenn er auskommt? Im STANDARD-Gespräch wischt Palese (1944 in Böhmen geboren; in Wien Chemie, Pharmazie studiert; 1971 in die USA ausgewandert) die Bedenken vom Tisch. "Das Labor hat die höchste Sicherheitsstufe. Da kommt kaum jemand hinein, und heraus kommt gar nichts."

Gesammelte Virenfragmente

Acht Jahre hätten sie gebraucht, um aus konserviertem Lungengewebe aus 1918/19 so viel Virenfragmente zusammenzutragen, dass mit einer speziellen Technik das gesamte Erbgut des damaligen Erregers synthetisiert werden konnte. Dieses Genom wurde in den CDC menschlichen Zellen implantiert - die Infektion nahm ihren Lauf, die Zellen produzierten neue alte Viren. Diese, Mäusen verabreicht, rafften die für Influenza nicht anfälligen Nager in nur drei Tagen dahin. Aber sie töteten auch Hühnerembryonen - ein Zusammenhang mit der Vogelgrippe vom Typ H5N1?

"Kann man noch nicht sagen", erklärt Palese. Fest stehe, dass etliche Gene der beiden Viren gleich sind. Der Erreger der Spanischen Grippe könnte also aus einer genetischen Vermischung von tierischen und humanen Influenzaviren entstanden sein - wovor die WHO derzeit warnt: So könne ein Grippevirus entstehen, das zu einer neuen Pandemie führe. "Da bin ich aber skeptisch", kontert Palese, "das derzeitige Vogelgrippevirus hat kaum das Potenzial dazu." Also keine Gefahr? "Doch natürlich", konstatiert Palese, "die Pandemie kommt. Aber niemand kann sagen, wann oder durch welches Virus."

Geschürte Pandemieangst

Und warum schürt die WHO dann mit dem Schreckgespenst Vogelgrippe die Pandemieangst? "Weil sonst kein einziger Staat einen Finger rühren würde, bis es zu spät ist." Durch die WHO aufgeschreckt, hätten nun zumindest die Staaten, die können, Vorsorge getroffen: mit Pandemieplänen und Ankauf (für Schlüsselpersonal) von Grippemitteln wie Relanza (GlaxoSmithKline) oder Tamiflu (Roche) - "das wirkt sogar bei der Spanischen Grippe, wie wir zeigen konnten". Aber auch durch Kooperationen mit der Industrie, denn eine Pandemie könne nur mit einer Impfung gestoppt werden. Und bis zur Verfügbarkeit einer solchen müssten unter anderem Impfstoffhersteller mit Arzneien geschützt werden. Für Österreich sieht Palese im Fall des Falles gute Chancen: "Ich bin sicher, dass etwa Baxter in Krems in vier Monaten bis zu zehn Millionen Impfstoffdosen herstellen kann."

In vielen anderen Ländern fehlten freilich Geld und Infrastruktur. "Bei einer Pandemie wird es vor allem in Afrika und Asien zu einem Massensterben kommen", prophezeit Palese. "Man darf nicht vergessen, dass dann alle Länder ihre Grenzen dicht machen und versuchen, mit ihren Kapazitäten die eigene Bevölkerung zu schützen. Viele Länder bleiben da übrig. Das kann dann auch zu Gewalt führen." (Andreas Feiertag, DER STANDARD, Print, 7.10.2005)