Foto: Viennale
Eine im besten Sinne freie, dem "Original" gerecht werdende Annäherung an den 1994 verstorbenen Rockmusiker Kurt Cobain (Nirvana) wagt US-Filmemacher Gus Van Sant in seinem jüngsten Meisterwerk "Last Days".


Nachher, man kennt das ja, kommen die Greatest-Hits-CDs. Noch später, auch das ist bekannt, werden auch die letzten Demos verbraten. Irgendwann, eine meist leidvolle Erfahrung, machen sich dann noch ein paar Filmproduzenten ans einträgliche Werk und drehen ein so genanntes Bio-Pic. Und dann kriegt irgend ein Hollywood-Star für die besonders authentische Darstellung von Aufstieg und Fall eines Rock-Stars vielleicht sogar den Oscar.

Gut möglich, dass auch das im Fall von Kurt Cobain quasi unvermeidlich ist und im Zuge der nächsten großen Grunge-Rock-Retro noch passieren wird. Immerhin gibt es aber, trotz der Abzockversuche seiner Witwe Courtney Love, bereits zwei Hommagen an den 1994 freiwillig oder einfach total bedröhnt und verzweifelt aus dem Leben geschiedenen Superstar, an denen sich zukünftige Fledderer zu messen haben werden.

Die erste stammt von Neil Young und Crazy Horse, denen mit dem Album "Sleeps with Angels" ein in jeder Hinsicht würdig-rauer Nachruf gelang. Die zweite Hommage wiederum ist ein weiteres karges Meisterwerk von Gus Van Sant ("My Own Private Idaho", "Elephant"), nennt sich recht schmucklos Last Days - und schon allein das trägt dem Umstand Rechnung, dass selbst die letzten Tage im Leben eines Stars eben auch nur Tage voll normaler Handreichungen und Verwirrungen und vielleicht doch auch großer, heller Momente sein können, die man im Nachhinein nicht unbedingt durch die Fettlinse der Heldenverehrung beschönigen muss.

Ähnlich wie in "Elephant", wo Van Sant ein linear ablaufendes Geschehen (ein Amoklauf in einer Schule) in verschiedene Perspektiven und Episoden aufsplitterte, zerlegt er auch in "Last Days" kleine Ereignisse und vor allem Stillstände in Variationen einer Chronologie, bei der man zunehmend das Gefühl hat, dass eine (Film-)Rolle nicht mehr zur anderen passt. Hier desorientiertes Stolpern durch Wälder und Lichtungen, dort leidenschaftsloses Herumspielen mit einem Gewehr und Versuche, sich als Frau zu schminken, während irgendwelche Kumpels und Musikerkollegen im oberen Stock ihren Rausch ausschlafen. Hauptdarsteller Michael Pitt hängen die blondierten Haare derart inständig ins Gesicht, dass "Durchblick" wortwörtlich unmöglich ist.

Dazwischen: Eine Solo-Jam-Session, während die Kamera vor dem Haus bleibt - außen vor wie jeder, der in den Selbstmord Cobains irgendetwas hineinzuinterpretieren versucht. Oder durchaus heitere Momente wie jener, in dem ein Branchenbuch-Vertreter durch eine fatale Verwechslung ins Haus schneit und der Musiker, dem schon alles egal ist, ihm selbst Fragen wie "Hat Ihr zuletzt geschaltetes Inserat Ihre Gewinne erhöht" wie auf Autopilot "beantwortet". Und dann wieder irritierte Blicke in den Küchenschrank. Wollte man jetzt wirklich Cornflakes? Wie bitte? Schon wieder?

Anders als in herkömmlichen Bio-Pics bebildern die einzelnen Episoden keine Thesen über Sinn und Unsinn im Leben eines Stars. Und konsequenter noch als in "Elephant" verweigert Van Sant Deutungen, wie es zu größeren und kleineren Desastern kommen mag. Von Rolle zu Rolle und, wie gesagt, meist ohne rettende Anschlüsse, torkelt "Last Days" durch Innen-und Außenräume, vorbei an in Auflösung begriffenen Gesichtern.

Irgendwann legt jemand "All Tomorrow's Parties" von den Velvet Underground auf und singt mit. Da kapiert man dann plötzlich wie zum ersten Mal die Lyrics von Lou Reed und wie kurz (auch für Kurt Cobain) die berühmt-berüchtigt-angeschwärmten "15 minutes" eines Stars (und seien es auch nur ein paar Jahre gewesen) tatsächlich sein können. Ein unfassbarer Film! (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 30.9.2005)