Foto: Standard/Newald

derStandard.at: Die Entschuldungsinitiative des Weltwährungsfonds und der Weltbank wurde als größter Schuldenerlass der Geschichte gefeiert. Was steckt dahinter, inwieweit ist hier ein Umdenken ersichtlich?

Küblböck: Diese Initiative stellt für die 18 entschuldeten Länder wirklich einen wesentlichen Schritt dar, auch wenn dies kein hundertprozentiger Schuldenerlass ist, wie oft zu hören war. Für die drei miteinbezogen lateinamerikanischen Staaten ist es allerdings ein Wermutstropfen, dass die Amerikanische Entwicklungsbank nicht in dem Deal integriert ist.

Konkret handelt es sich um einen Erlass von multilateralen Schulden beim IWF, der Internationalen Entwicklungsagentur der Weltbank sowie bei der Afrikanischen Entwicklungsbank. Dahinter steckt, dass bisher bei der internationalen Entschuldungsinitiative (HIPC-Initiative) ein viel zu geringer Teil der multilateralen Schulden gestrichen wurde. Dies ist ein wesentlicher Grund, dass die Länder weiterhin mit einer untragbaren Schuldenlast mit all ihren Folgen zu kämpfen haben. Steigender Druck von zivilgesellschaftlichen Organisationen in Süd und Nord auf die Gläubigerländer hat zu dieser Entscheidung wesentlich beigetragen.

derStandard.at: Die Initiative sieht den Schuldenerlass für 18 der ärmsten Länder vor. Um welche Staaten handelt es sich und nach welchen Kriterien wurde hierbei entschieden?

Küblböck: Es handelt sich einstweilen um jene 18 Länder, (Liste) die die HIPC-Entschuldungsinitiative erfolgreich "absolviert" haben. Bemerkenswert dabei ist, dass jahrelang eine sehr technische Diskussion über Tragfähigkeitsindikatoren und Schwellenwerten geführt wurde – nun ist davon plötzlich keine Rede mehr und die Schulden werden pauschal gestrichen – das zeigt, dass Entschuldung einzig und allein vom politischen Willen der Gläubiger abhängt.

derStandard.at: An welche Auflagen ist dieser Schuldenerlass geknüpft?

Küblböck: Das ist das größte Problem bei der Sache. Der Schuldenerlass ist an strenge Kriterien geknüpft, unter anderem müssen die Länder die strengen Bedingungen für IWF-Kredite erfüllen, die sehr oft Marktöffnung, Privatisierung teilweise sogar von bestimmten Unternehmen etc. beinhalten. Das heißt, nur wenn eine für die Gläubiger genehme Wirtschaftspolitik durchgeführt wird, gibt es auch Schuldenerlass. Es gibt Befürchtungen, dass die Bedingungen für den neuen Deal sogar noch verschärft werden.

derStandard.at: Welche Maßnahmen müssten Ihrer Meinung nach ergriffen werden, um die ärmsten Länder der Welt zu unterstützen? Reicht finanzielle Unterstützung?

Küblböck: Finanzielle Unterstützung ist wichtig und muss auch erhöht werden. Die so genannten Geberländer sollten endlich ihren Versprechungen Folge leisten und die Budgets für Entwicklungszusammenarbeit drastisch erhöhen. Um nachhaltige Effekte zu erzielen, müssen aber vor allem die Wirtschaftspolitik und die weltwirtschaftlichen Rahmenbedingungen geändert werden.

Der so genannte freie Handel hat bisher dazu geführt, dass die ärmsten Entwicklungsländer am Weltmarkt auf die Rolle von Rohstofflieferanten zementiert wurden. Gleichzeitig zerstören Produkte der Industrieländer, die teilweise unterhalb ihrer Produktionskosten exportiert werden, lokale Märkte. Afrikanische Bauern können zum Teil ihre Milch nicht an die lokale Molkerei verkaufen, weil Milchpulver aus der EU billiger ist.

derStandard.at: Wie kann eine sinnvolle Verwendung der Mittel in den Entwicklungsländern erreicht und überprüft werden?

Küblböck: Dies muss über erhöhte Transparenz und Nachvollziehbarkeit in den Industrieländern und vor allem in den Entwicklungsländern selbst passieren. Ein Beitrag könnte sein, zivilgesellschaftliche Organisationen vor Ort mit dem nötigen Wissen zu unterstützen, das sie befähigt, über eine sinnvolle Verwendung der Mittel mitzubestimmen und zu kontrollieren.

derStandard.at: Welche Folgen wird dieser Schuldenerlass haben? Wird die Initiative längerfristig eine Besserung der Situation in den Entwicklungsländern bringen?

Küblböck: Dieser Schuldenerlass ist für diese Länder ein wichtiger Schritt, da die Schuldenlast ein wesentliches Hindernis für Armutsminderung darstellt. Wenn ein großer Teil des Budgets und der Exporteinnahmen für den Schuldendienst aufgewendet werden muss, steht er für andere Ausgaben nicht zur Verfügung.

Dennoch ist es bei den derzeitigen Handels- und Wirtschaftsbeziehungen sehr wahrscheinlich, dass wieder neue Kredite benötigt werden ...

Statt Entschuldung an willkürliche Gläubigerentscheidungen zu knüpfen, sollte ein unabhängiges Schiedsgerichtsverfahren eingeführt werden, wie es in den USA für öffentliche Gebietskörperschaften schon lange existiert.

derStandard.at: Welche Alternativen zum neoliberalen Kurs schlagen Sie vor?

Küblböck: Eine radikale Veränderung der gegenwärtigen Strukturen und multilateralen Regeln, wie z.B. der Handelsregeln. Statt eines globalen Marktes wo ungleiche Partner bei gleichen Regeln konkurrieren müssen, bedarf es vor allem des Auf- bzw. Ausbaus von lokalen Märkten und regionalen Wirtschaftskreisläufen, die lokale Bedürfnisse befriedigen können. Doch dies wird durch die Politik von WTO, IWF und Weltbank, die die Interessen der Industrieländer und ihrer Konzerne vertreten, verhindert. (retro)