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derStandard.at: Meinungsumfragen prognostizieren in Wien ein Kopf an Kopf-Rennen von ÖVP und Grünen. Welche Veränderungen in der Einstellung der Menschen und in ihrem Verhältnis zur Politik sehen Sie hinter dieser Entwicklung?

Knoll: Die eigentliche Frage ist: Sind Wahlen aktuell noch mehr als Meinungsumfragen? Es ist relativ unerheblich, wie die jeweilige Wettquote aussieht. Und zwar deshalb, weil es im Grunde genommen kaum mehr politische Perspektiven gibt. Das hängt damit zusammen, dass die Selektion für die politische Elitenbildung ziemlich geschwächt erscheint. Wer kennt schon seinen Abgeordneten wirklich? Gleichzeitig ist diese Schwäche mit einer Verringerung von gesellschaftspolitischen Zielvorstellungen verbunden.

Das heißt, dass ich mit der Abgabe meiner Stimme keine Veränderung in diese oder jene Richtung mehr erreiche. Wahlverhalten wird zu einer Art von Totospiel, ich wähle nach Sympathie oder Antipathie, verbinde aber damit nicht die Umsetzung einer politischen Vorstellung. Gewählt wird derjenige, von dem ich erwarten kann, dass meine individullen Interessen möglichst wenig gestört werden.

derStandard.at: In Wien sind die Bobos ("Bourgeois Bohemiens") zu einem umkämpften Wählerpotenzial geworden. Was sagen Sie zur Eventkultur, mit denen sie gelockt werden sollen? Werden die Bobos eher schwarz oder grün wählen?

Knoll: Im Grunde genommen wählt jeder die Partei, von der er meint, dass sie die Sachmaterie am wenigsten verkompliziert. Die massive Eventkultur dieses Wahlkampfes bestätigt meine Befürchtung, dass wir in einer parteienstaatlichen Krise sind. In diesem Fall sieht man besonders gut, dass Wählen zu einer Art Kaufentscheidung minimiert wird. Wieso sollte ich mich als Wähler für eine "Kaufentscheidung" besonders in die Kurve legen. Es ist nur die Frage, inwieweit die Politik meine Entertainmentvorstellung erfüllt.

derStandard.at: Stehen die Parteien denn überhaupt nicht mehr für bestimmte politische Werte?

Knoll: Werte sind mittlerweile zu Wünschen geworden. Geht man nach Umfragen, werden "Gesundheit" oder "Familie" als oberste Werte genannt, die Dispositive des Handelns orientieren sich aber gar nicht danach. Wenn sich nun die Politik der Werteforschung bedient, dann begeht sie den Fehler, Wunschvorstellungen statt Werte heranzuziehen, die aber nichts mit konsequenter Gesellschaftspolitik zu tun haben.

In der Kommunalpolitik hat das eine besondere Bedeutung. Wenn zum Beispiel das Greenhorn der ÖVP, das als Bezirksvorsteherin im ersten Bezirk kandidiert, meint, die Innere Stadt dürfe nicht eine einzige ganzjährige Silvestermeile werden, dann stellt sich die Frage, ob sie mit ihrer Klientel und ihren Parteifunktionären überhaupt gesprochen hat. Hier steht der individulle Wunsch nach Ruhe handfesten Interessen des Bezirks gegenüber.

derStandard.at: Gilt die Politikverdrossenheit in einem gleich starken Maß für Landtags- wie Nationalratswahlen?

Knoll: Die Kommunalpolitik ist noch das, womit sich die Wähler am aktivsten beschäftigen, bei gesamtstaatlichen Wahlen ist die Gleichgültigkeit sicher größer. Am Land ist außerdem eine größere Nähe zu politischen Entscheidungsfindungen gegeben. Hier sind auch politische Entscheidungen unmittelbarer fühlbar, in städtischen Bereichen ist das weniger der Fall.

Die Verdrossenheit der Wähler ist Fakt. Aber es gibt auch das Pendant bei den Politikern: wenn politische Optionen kaum mehr erkennbar sind, fühlen sich auch Politiker kaum mehr dazu motiviert, politische Entscheidungen zu treffen. Der Politiker ist eigentlich ein armes Schwein, der muss mittlerweile weniger eine politische Rolle erfüllen als vielmehr eine mediale. Damit verändert sich auch seine Glaubwürdigkeit. (mhe)