Eine Pappschachtel mit Plastikträger: Die Anthologie "Landvermessung", die von geplanten 5000 auf 8000 Seiten anwuchs – trotz vieler Autoren, die nicht mitmachten.

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Die von Günther Nenning herausgegebene umstrittene Anthologie der österreichischen Literatur umfasst nun 21 Bände.

Wien – Ob es Ernst Jandl gefallen hätte, dass sein "Rot-ich weiß-rot" von Günther Nenning launig zum Text der "richtigen Bundeshymne" Österreichs ernannt wurde? Zu Klängen von Walter Breitner erschallte Günther Nennings Beitrag zur gegenwärtigen Hymnen-Diskussion bei der Präsentation der Landvermessung am Montag. Eine "Politik-und Nenningfreie Zone" nennt Residenz-Verleger Herwig Bitsche die launige Veranstaltung, bei der jene Anthologie österreichischer Literatur nach 1945 präsentiert wurde, die aus verschiedensten Gründen seit über einem Jahr die Gemüter erhitzt.

Tatsächlich ist Günther Nenning bei der Präsentation der nunmehr 21-bändigen Landvermessung nur per Tonband anwesend. Ein Oberschenkelhalsbruch fesselt den 85-Jährigen seit Monaten in Innsbruck ans Bett. Auch auf salbungsvolle Politikerworte wurde verzichtet. Eine Enthaltsamkeit, die die Nähe des Literaturprojekts zu den Jubiläumsaktivitäten, mit denen die schwarz-blaue Regierungskoalition neben der Republik auch sich selbst in Szene setzt, vergessen machen soll. Im Rahmen der Aktivitäten rund um "2005" subventionierte jedoch allein das Bundeskanzleramt das kulturelle Großprojekt mit 350.000 Euro.

Weitere Subventionen stammen aus sämtlichen – auch den SP-regierten – Bundesländern, von Wirtschafts-und Arbeiterkammer. Die Liste ist lang. Insgesamt über 500.000 Euro Steuergelder stecken in dem bunten Koffer. Bei der Auflage von 5.000 Stück ergibt das eine Subvention von 100 Euro je Koffer (statt 71,4 Euro Subvention bei der noch im Frühjahr geplanten Menge von 7.000 Koffern). Weshalb die 21 Bände im Laden für nur 50 Euro erhältlich sind.

8000 Seiten österreichischer Literatur nach 1945 weist der Landvermessungs-Koffer nunmehr auf. Texte von 139 Autoren wurden versammelt. Herrmann Broch ist mit Die Schuldlosen vertreten, Heimito von Doderer mit Die Merowinger, Marlen Haushofers Die Wand fehlt nicht. Der Überzeugungskraft von Nennings Mitherausgebern – Robert Schindel, Milo Dor, Marie-Thérèse Kerschbaumer, Anna Mitgutsch, Julian Schutting – gelang es auch, viele lebende Autoren zurückzugewinnen – nicht zuletzt sich selbst. Jeder von ihnen – mit Ausnahme Julian Schuttings – beansprucht im Rahmen der Landvermessung für seine Werke einen eigenen Band. Robert Menasses Schubumkehr steckt heute ebenso im Koffer wie Peter Handkes Wiederholung.

Abwesend, anwesend

Allein: Die Liste jener, die ihrer dezidierten Ablehnung treu blieben, ist nicht weniger lang – und nicht weniger prominent. Texte von Thomas Bernhard und Ingeborg Bachmann fehlen in der Anthologie – ihre Erben gaben die Rechte für dieses Projekt nicht frei. Nobelpreisträgerin Elfriede Jelinek verweigerte den Abdruck ihrer Texte in dem Koffer ebenso konsequent wie Ilse Aichinger, Peter Turrini und die Wiener Gruppe: Konrad Bayer, Friedrich Achleitner, Gerhard Rühm, Oswald Wiener, H. C. Artmann glänzen durch Abwesenheit, Heimrad Bäcker fehlt. Norbert Gstrein, Daniel Kehlmann und Marlene Streeruwitz. Erich Hackl ist nicht vertreten, ebenso wenig wie Gert Jonke. Auch nicht Christine Nöstlinger. Nicht Franz Schuh.

Peter Sloterdijk und Luc Bondy hingegen erweitern mit Beiträgen Nennings Begriff der "österreichischen Literatur nach 1945". Als "Beispiele" einer solchen will Nenning die 21 Bände nunmehr verstanden wissen. "Abwesende bleiben anwesend" heißt es versöhnlich im Vorwort des kulinarisch "Hors d'Oeuvre" benannten Band 1 der Sammlung. Auch das Vorwort übrigens gab es auf der Präsentation als Musikstück zu genießen. Gesungene Sätze der österreichischen Literatur wie "Es war eine Viechsarbeit" entfalten im Volksgarten den herben Charme von Günther Nennings Auffassung der Koffer-Arbeit am Gesamtkunstwerk. Nach einem musikalischen Crescendo mündete der heitere Abend der Musen in Nennings eigens gereimte Kofferverse. (siehe Kasten unten).

Freuen kann sich über die Anthologie in jedem Fall einer: der Verleger. Mit den öffentlichen Geldern ist die Anthologie bestens finanziert, zudem sollen 4000 Exemplare des Koffers bereits vorbestellt sein, allein 1000 von diversen öffentlichen Institutionen. Und Günther Nenning, der die Viechsarbeit, der er sich seit Jahren unterzog, beendet weiß. Wovon er, wie Verleger Herwig Bitsche vermutet, in seiner Kronenzeitungs-Kolumne demnächst berichten wird. Was aber die einzige Verbindung der Zeitung zur Anthologie ist. Subventions-Gelder seien hier nicht geflossen. (DER STANDARD, Printausgabe, 27.09.2005)