Foto: Brandstetter
Künftig sollen in Österreich auch Verbände - Aktiengesellschaften, Gesellschaften mit beschränkter Haftung, andere juristische Personen sowie Personengesellschaften - für gerichtlich strafbare Handlungen ihrer Mitarbeiter mit Geldbußen belegt werden können. Das entsprechende "Verbands­verantwortlichkeitsgesetz" (VbVG), umgangssprachlich auch als Unternehmensstrafrecht bezeichnet, soll mit 1. Jänner 2006 in Kraft treten. Den Justizausschuss des Nationalrates hat die Regierungsvorlage schon passiert. Über die Anwendungsbereiche und die Intention des Gesetzes antwortete Wolfgang Brandstetter, Experte für Wirtschaftsstrafrecht und Verteidiger im Kaprun-Prozess.

***

derStandard.at: Wozu ist dieses "Verbandsverantwortlichkeitsgesetz" überhaupt nötig? Reicht es nicht, bei einem Delikt auf die handelnden Organe juristischer Personen zugreifen zu können?

Wolfgang Brandstetter: Das VbVG beruht nicht auf wirklich praktischen Bedürfnissen, sondern stellt vielmehr die Umsetzung internationaler Verpflichtungen, insbesondere EU-rechtlicher Vorgaben, dar. Dementsprechend ist auch nicht mit besonderer praktischer Relevanz dieses Gesetzes zu rechnen. Vielmehr erwartet sich der Gesetzgeber eine vor allem generalpräventive Wirkung durch "einen starken Anreiz für Unternehmen, Gefährdungspotentialen im Rahmen des Betriebes noch mehr Aufmerksamkeit zu schenken" (Zitat aus der Regierungsvorlage).

derStandard.at: Erfasst wird eine große Zahl von Delikten, von Vermögensdelikten über Tötungsdelikte bis hin zu Tatbeständen wie Verhetzung. Ist so ein weites Feld nötig und sinnvoll? Welche Delikte werden den Hauptanwendungsbereich ausmachen?

Brandstetter: Wenn man grundsätzlich eine strafrechtliche Haftung juristischer Personen einführen will, so ist es nur konsequent, hier keine Deliktsbereiche auszunehmen. Auch die Finanzdelikte sind zwar derzeit noch ausgenommen, sollen aber in Zukunft ebenfalls einbezogen werden. Ein konkretes praktisches Strafbarkeitsbedürfnis gab es schon bisher kaum, es wird sich daher die praktische Relevanz insgesamt auch in engen Grenzen halten und am ehesten Delikte im Fahrlässigkeitsbereich betreffen.

derStandard.at: Welche Unternehmensformen sind vom geplanten Gesetz betroffen? Bei welchen wäre es ihrer Ansicht nach sinnvoll?

Brandstetter: Betroffen sind praktisch alle Unternehmensformen, was ebenfalls konsequent ist. Ausgenommen sind nur die öffentlichrechtlichen Gebietskörperschaften und anerkannte Religionsgemeinschaften.

derStandard.at:Wann genau kann ein Unternehmen im Strafverfahren verurteilt werden – welche Handlungen werden dem Unternehmen zugerechnet? Wird nur das Fehlverhalten von Entscheidungsträgern oder auch von "einfachen" Mitarbeitern berücksichtigt werden?

Brandstetter: Ein Unternehmen kann dann verurteilt werden, wenn die Straftat zu seinen Gunsten begangen wurde oder dadurch auch nur Pflichten verletzt wurden, die das Unternehmen treffen. Dabei wird das Verhalten von Entscheidungsträgern dem Unternehmen nur dann zugerechnet, wenn der Entscheidungsträger "die Tat rechtswidrig und schuldhaft begangen hat", während es bei einfachen Mitarbeitern nicht auf das persönliche Verschulden, sondern nur darauf ankommt, dass diese Mitarbeiter tatbestandsmässig und rechtswidrig gehandelt haben.

Die Haftung für einfache Mitarbeiter setzt also nur voraus, dass diese tatbestandsmässig gehandelt haben, was bei Vorsatzdelikten auch Vorsatz und bei Fahrlässigkeitsdelikten die Verletzung einer Sorgfaltspflicht ("objektive Sorgfaltswidrigkeit") voraussetzt, ohne dass es aber auf persönlich schuldhaftes Verhalten ankommt.

Diese im Vergleich zu den Entscheidungsträgern, die schuldhaft handeln müssen, erweiterte Unternehmenshaftung wird jedoch dadurch relativiert, dass die Haftung für einfache Mitarbeiter an die Voraussetzung geknüpft wird, dass Entscheidungsträger des Unternehmens in sorgfaltswidriger Weise, "insbesondere indem sie wesentliche technische, organisatorische oder personelle Maßnahmen zur Verhinderung solcher Taten unterlassen haben", das Verhalten der Mitarbeiter ermöglicht oder wesentlich erleichtert haben. Die Verantwortlichkeit eines Verbandes für Entscheidungsträger schließt jene für das Verhalten von Mitarbeitern im selben Einzelfall nicht aus.

derStandard.at: Als Sanktion sind Geldbußen vorgesehen, die nach einem Tagsatzsystem berechnet werden, als maximale Geldstrafe wurden 1,8 Millionen Euro festgeschrieben. Für große Unternehmen sind das "Peanuts" – ist die Wirksamkeit trotzdem gewährleistet?

Brandstetter: Wenn man die Unternehmensstruktur in Österreich insgesamt betrachtet, ist eine Höchststrafe von 1,8 Millionen Euro, die zusätzlich zur persönlichen Haftung von Entscheidungsträgern und Mitarbeitern statuiert wird, durchaus geeignet, jene Präventionswirkung zu entfalten, die man sich erhofft.

derStandard.at: Welche Branchen werden hauptsächlich betroffen sein? Wie wird sich das Gesetz auf die Baubranche - Stichwort Sozialbetrug - und Krankenhäuser - Stichwort ärztliche Kunstfehler - auswirken?

Brandstetter: Die Verbandsverantwortlichkeit wird vor allem jene Branchen treffen, die gefahrengeneigte Tätigkeiten abwickeln müssen, also die Bau- und Technikbranche, Verkehrs- und Speditionsunternehmen, aber auch Unternehmen, die Finanzdienstleistungen im weitesten Sinn anbieten. Krankenhäuser werden zumeist von öffentlichrechtlichen Gebietskörperschaften geführt und wären insofern nicht betroffen, Privatkliniken aber schon.

derStandard.at: Wie ist die Vorlage im EU-Vergleich zu beurteilen? Verfahren andere EU-Mitgliedstaaten strenger oder lockerer?

Brandstetter: Österreich hat mit diesem Gesetz die internationalen und EU-rechtlichen Vorgaben sehr strikt und konsequent umgesetzt. Im Ergebnis war man dabei vergleichsweise streng. In der BRD hat man die Strafbarkeit juristischer Personen beispielsweise auf das Verwaltungsstrafrecht beschränkt.

derStandard.at: Einer der Auslöser, über das neue Unternehmensstrafrecht nachzudenken, waren die Freisprüche im Kaprun-Fall. Sie waren einer der Strafverteidiger in diesem Fall, wie wäre er ihrer Ansicht nach ausgegangen, wenn es das Gesetz schon gegeben hätte?

Brandstetter: Aufgrund des mittlerweile rechtskräftigen Urteils im Kaprun-Prozess hat keiner der Beschuldigten sorgfaltswidrig gehandelt. So gesehen wäre auch die Katastrophe von Kaprun kein Anwendungsfall der Verbandsverantwortlichkeit, weil ja nicht einmal ein objektiv sorgfaltswidriges Verhalten von Mitarbeitern eines Unternehmens und schon gar kein schuldhaftes Verhalten von Entscheidungsträgern festgestellt werden konnte.