Gedenken vor dem Tatort: Blumen, Kerzen und Fotos erinnern an den 14-Jährigen, der in der Polytechnischen Schule in der Schopenhauer Straße erstochen worden ist.

Foto: Standard/Fischer
Der 15-Jährige Schüler, der in Wien einen 14 Jahre alten Klassenkollegen erstochen hat, ist von seiner ursprünglichen Notwehrversion abgerückt. Er habe das Messer schon vor dem Streit gezückt gehabt und im Reflex zugestochen, gestand er bei der Polizei.

***

Wien – "Das ist halt nicht normal. Wenn man ein Problem hat, dann sollte man sich schlagen, aber nicht mit dem Messer stechen und so." Betont gelassen schildert Raimond kurz vor Schulbeginn, was bei der Konfliktlösung aus seiner Sicht in Ordnung ist und was nicht. "Ich selber hab ja keine Waffen, aber ich kenn schon welche, die welche haben", meint der Schüler am Freitagmorgen, während er vor der Polytechnischen Schule in der Wiener Schopenhauerstraße steht.

Über dem Haupteingang weht eine schwarze Fahne, bis zum Nachmittag kommen immer mehr Blumensträuße und Kerzen dazu, die vor der Tür abgelegt werden. Dass hier etwas Schreckliches passiert ist, wäre auch ohne diese Symbole deutlich. Kein Lärmen vor der Schule, kein Herumlaufen, stattdessen haben einige der ankommenden Schüler Tränen in den Augen.

"Er war manchmal nett, manchmal war er auch aggressiv", gibt Yasemin preis, was sie von dem mutmaßlichen Täter Nikola, einem in Serbien geborenen 15-jährigen Österreicher weiß. Wirklich erklären kann sich aber keiner, warum Nikola den 14 Jahre alten Kevin getötet hat.

Die Frage nach dem "Warum" wird auch den beiden Schulpsychologen, die in die Schule bei der Aufarbeitung der Katastrophe helfen sollen, gestellt werden. "Man wird den Jugendlichen dann die Wahrheit sagen müssen, nämlich dass man darauf noch keine Antwort hat", meint Mathilde Zeman, Chefpsychologin beim Wiener Stadtschulrat. Ziel sei aber, auf die Bedürfnisse der Teenager einzugehen: "Manche wollen vielleicht jetzt noch gar nicht da^rüber reden, andere wollen wissen, ob sie den Angreifer besuchen dürfen."

Ausgelacht

Ein paar Antworten hat die Polizei. "Grundsätzlich ist der Verdächtige geständig, er sagt, es sei eine Art Reflex gewesen", berichtet Ermittler Josef Koppensteiner. "Mittlerweile sagt er, das Opfer habe ihn ausgelacht und ein Wortgefecht sei entstanden. Dann sei er mit gezücktem Messer auf den Jüngeren zugegangen, die Klinge habe dabei aber nach unten geschaut. Als ihn der Jüngere würgen wollte, habe er zugestochen – aber nur einmal." Freitag wurde der 15- Jährige in Untersuchungshaft genommen. Wirklich auffällig war er zuvor nicht: "Es hat einmal einen Vorfall gegeben, wo er bei einer Rauferei etwas nachgeschmissen hat, das war aber nicht dramatisch", erzählt Koppensteiner.

Der Tod in der Schule spielt auch in den Wiener Wahlkampf hinein. Die Klubobfrau des BZÖ-Wien, Heidrun Schmalenberg, forderte den Rücktritt von SP-Vizebürgermeisterin Grete Laska und Stadtschulratspräsidentin Susanne Brandsteidl. Begründung: Die beiden hätten das Gewaltproblem an Schulen ignoriert. Rückendeckung kommt dagegen von VP-Bildungssprecher Walter Strobl, der Schuldzuweisungen als "geschmacklos" empfindet. (Michael Möseneder, DER STANDARD – Printausgabe, 17./18. September 2005)