"Alles in einem!" So oder so ähnlich lauten die Verheißungen von Küchen- und Bürogeräteherstellern, von Film- und Fotokameraproduzenten und von den einschlägigen Telekommunikatoren sowieso. Wo wir einst ganze Bataillone von Gerätschaften benötigten, genügt heutzutage ein einziger "multifunktionaler" Apparat, um ein Dessert anzurichten oder aus einem Schnappschuss eine Ansichtskarte zu produzieren.

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Das All-inclusive gilt nicht nur für die Urlaubsplanung, es gilt ebenso in Haushalt und Büro. Das heißt natürlich nicht, dass sich meine Frau in der Mikrowelle die Haare trocknen kann (warum eigentlich nicht?) oder dass ich die mit meiner Digicam festgehaltenen visuellen Impressionen in einem Atemzug verbal untertiteln kann (auch das wäre ja ganz praktisch). Aber es heißt, dass viele unterschiedliche aber gleichwohl benachbarte Funktionen mit einem einzigen Gerät erledigt werden können.

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Klar, ich muss den Wechsel von Rühren zu Häckseln durch den Austausch eines bestimmten Aufsatzes vorbereiten, und ebenso selbstverständlich ist es, dass ich das fotografische Aufnehmen einer Szene und deren kontrollierende Begutachtung auf dem Screen durch Knopfdruck auslösen muss; das eigentliche Umsteuern, das heißt die Neudefinition des Geräts, findet jedoch innerhalb des gleichen Apparats statt.

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Allerdings ist das nicht immer ganz so einfach, wie es die Werbung verspricht. Das sprichwörtliche "kinderleicht" scheint sich insbesondere mit Blick auf den elektronisch gestützten Funktionswechsel zumeist auf einen Test mit hoch begabten Wunderkindern zu beziehen. Selbst das simpelste Diktiergerät erfordert ein eingehendes Studium der Gebrauchsanweisung - und auch die ist häufig nur nach mehrmaligem Durchlesen zu erfassen. Etwas einfacher verhält es sich da mit der mechanischen Vielfalt. Hier ist die Funktion schon an der äußeren Gestalt abzulesen: Wer bohren will, muss sich nur noch Gedanken über das zu löchernde Material und den passenden Durchmesser machen, ansonsten ist der Bohraufsatz klar von allen anderen Werkzeugen zu unterscheiden.

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Damit hat's sich aber auch schon mit der leichten Ablesbarkeit. Denn alles in allem lässt sich weder an der Black & Decker noch an der Kitchen-Aid ablesen, was alles sie tatsächlich können. Erst recht gilt das für Handys oder Digitalkameras. Dass man mit dem einen telefonieren und mit dem anderen Fotos machen kann, weiß man allenfalls aus der Gattungsbezeichnung. An der äußeren Gestalt, am Design lässt sich die Funktion mitnichten erkennen, schon gar nicht das ganze Spektrum der Möglichkeiten. Ergonomische Anforderungen oder gar semiotische Erkenntnisse spielen kaum eine Rolle, das Erscheinungsbild einer Fernbedienung, eines Taschenrechners, eines elektrischen Rasierers oder das eines Handys ist allein einem stilistisch dem Zeitgeist angepassten Grafikdesign geschuldet.

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Aber auch unseren Möbeln ist die Wandlungsfähigkeit nur selten anzusehen. Ob und wie ein Tisch auszieh- oder klappbar ist, welche Verstellbarkeit die Konstruktion eines Bürostuhls verbirgt und welchen Liegekomfort das Sofa als ausgefahrenes Doppelbett bietet, das weiß nur derjenige, der in die mechanischen Tiefen des jeweiligen Möbels eintaucht und die verborgenen Varianten einmal komplett durchdekliniert. Das allerdings geschieht nicht allzu oft, offenbart sich doch in den meisten Fällen, dass die "zusätzlichen", diskret "verklappten" Funktionen allenfalls provisorische Qualitäten haben, dass sie nur für den Eventualfall vorgesehen sind und dementsprechend selten oder gar nicht eingesetzt werden. So schön, so faszinierend solche Mutationen auch bisweilen sind, irgendwie atmen sie fast immer die Aura des Ersatzes, des Platzmangels, so wie einst in den Nachkriegsjahren, als sich aus einer einzigen Stellage sozusagen ein komplettes Möbelprogramm entfalten ließ.

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Es gab jedoch auch Zeiten, in denen das Camouflieren verschiedenster Konfigurationen als hohe Kunst geachtet wurde. So zum Beispiel im 18. Jahrhundert, als die Manufaktur Roentgen aus Neuwied nahezu den gesamten europäischen Adel mit einzelgefertigten so genannten Verwandlungstischen belieferte. Ob Spiel- oder Beistell-, ob Schreib- oder Konsoltisch, die diskrete Kombination verschiedenster Tischfunktionen folgte hier nicht einer der Not gehorchenden Platzersparnis, sondern diente vielmehr der Erbauung und Zerstreuung eines nach technischer und künstlerischer Innovation gierenden Publikums. Folgerichtig wurde auch die notwendige Anlage der Hebel, der Drücker und Scharniere, kurzum die gesamte Mechanik zu einer bewusst kryptischen Bedienungskultur entwickelt - im Gegensatz zu den heute üblichen mehr oder weniger einem nüchternen Pragmatismus folgenden Klapp- und Falttechniken.

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Angesichts dieser Profanierung der dinglichen Verwandlungskunst ist es kein Wunder, dass diese Form der Funktionsakrobatik zunehmend ihre Faszination verliert. Zwar kann man alljährlich auf den einschlägigen Messen in Köln und Mailand Heerscharen junger Designer beobachten, die voller Stolz tagein tagaus nichts anderes tun, als die von ihnen entwickelten StuhlTischBank-Collagen permanent umzustecken, umzuklappen oder nur umzukippen. Bisweilen kann man sich jedoch des Eindrucks nicht erwehren, dass es hier in erster Linie um den Entwurf eines möglichst überraschenden Umbaumechanismus geht - und eben nicht um ein preiswertes, stabiles und leicht handhabbares Möbel.

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Von einem ganz anderen Denken getragen sind dagegen jene Entwürfe, die ganz offen mit der Doppel- und Dreifachfunktion spielen, die ihren Auftritt sozusagen exakt aus ihrem Mehrzweck ableiten. Ganz vorn in der Entwicklung solcher Formen angewandter Vielfalt steht das Programm der Firma Nils Holger Moormann. Der Tisch "Kant" von Boge Frey z. B. vereinigt Ablage und Schreibfläche in einer derart selbstverständlichen, nichtsdestotrotz so nie gekannten Konstellation, dass man sich nur noch wundern kann, dass es so etwas noch nicht gibt.

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Gleiches gilt für die Leiter "Hochacht" von Cäcilie Manz. Dem Bedürfnis, die den oberen Etagen eines Regals entnommenen Bücher nicht nur davonzutragen, sondern sich damit auch kurz niederzulassen, kommt sie mit einer einfachen Ergänzung ihrer Bücherleiter entgegen. Die zweite Sprosse ist etwas breiter ausgebildet, und die dritte wurde leicht konkav gekrümmt. Summa summarum entsteht hier eine veritable Sitzgelegenheit, die sichtbar nicht voll funktionsfähiger Stuhl sein will, sondern tatsächlich nur eine Gelegenheit zum Sitzen - und genau darin liegt der Charme dieses Konstrukts. Und auch - ein letztes Beispiel aus dem Hause Moormann - "Fritz", ein Tablett, das als Kinderbett, bzw. ein Kinderbett, das als Tablett zu nutzen ist, spielt ganz offen mit seiner Zweideutigkeit. Warum auch nicht?

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Ahnherr solcher funktionalen Joint Ventures dürfte, zumindest bezogen auf das aktuelle deutsche Design, Konstantin Grcic sein, der mit seiner Kleiderbügelbürste bereits 1992 das integrierte Nebeneinander von Funktionen exemplarisch darstellte. Da man dort, wo man seine Jacken, Mäntel usw. aufhängt, auch gerne einmal eine Kleiderbürste benutzt, diese aber zumeist nicht vorhanden ist, implantierte er einem herkömmlichen Buchenholzbügel kurzerhand einfach eine Reihe von Borsten. So ist die Bürste immer da, wo man sie braucht, so einfach ist das!

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So einfach, so logisch und so mehrdeutig ist auch eine Reihe von Produkten der DIM (Die imaginäre Manufaktur), die unter der Leitung der beiden Berliner Designer Vogt & Weizenegger entstanden: Judith Sengs "Narziss" ist Spiegel und Bürste, Konstantin Grcics "Schuhschein" ist Beutel und Schuhbürste, und Veronika Beckers Mess-Dienerin ist Lineal und Tischkehrbesen. Man sieht: Kombinationsmöglichkeiten finden sich in allen Momenten unseres alltäglichen Tuns. Wichtig erscheint nur, dass die eigentlich separaten Dinge, die hier zu einer Art "Kombiwerkzeug" zusammengefasst werden, tatsächlich auch einem durchgehenden Handlungsablauf entspringen. Oder aber, dass sich bestimmte, bislang nicht genutzte Qualitäten auf eine andere Spezies übertragen lassen. Mit dem Ziel, diesem anderen Produkt eine vollkommen neue Erscheinung zu geben. Beispielhaft gelungen ist dies zweifellos Laetitia de Allegri mit ihrem 2003 an der ECAL in Lausanne entstandenen Türstopper "Stoppo", einem in Türblattstärke eingekerbten Blumentopf, der sich schon dank des Gewichts von Pflanze und Erde ideal für diese Funktion eignet - und obendrein das periphere Grün aus seinem Mauerblümchendasein befreit.

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Vor dieser Ideenflut scheinen auch die Gefilde der Consumer Electronics nicht länger gefeit. Nachdem bereits James Irvine im Jahre 2000 in Mailand seine so genannte "Sound Wave", eine Kombination aus FM-Radio und Mikrowelle präsentierte, steht für die diesjährige Funkausstellung in Berlin die Vorstellung der TV-Version ins Haus. Dieses Mal ist es der Holländer Marcel Wanders, einer der Droog-Veteranen schlechthin, der, wohl nachhaltig von Irvines Vorschlag inspiriert, die Vereinigung von Mikrowelle, Fernsehbildschirm und DVD-Rekorder propagiert: Bio Alfredissimo direkt vom Bildschirm in die Pfanne. So weit sind wir also vom Föhnen am häuslichen Herd gar nicht mehr entfernt.

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Der Autor Volker Albus ist als Architekt, Designer (form, Hochparterre, Domus u. a.) und Ausstellungsmacher tätig. Seit 1994 lehrt er als Professor für Produktdesign an der Hochschule für Gestaltung Karlsruhe.

(Der Standard/rondo/09/09/2005)

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