Schuld sind die Rumänen. Und Karl Fluch. Der riet weiland im STANDARD wieder mal zu Fanfare Ciocarlia. Die Horde von Highspeedbrassisten lässt inzwischen im Halbjahresrhythmus, jedenfalls aber einmal pro Jahr die Szene Wien - ja, abgedroschen, aber selten wahrer: - beben. Wenn die Ziganij zur Zugabe in den Saal einziehen und mitten im Publikum demselben noch einmal den Dansul blasen und der kleine Mann, den Geldschein auf die schweissnasse Stirn geklebt, mit dem Hut die Runde macht, dann ist das ein prächtiger Vorgeschmack auf Guca. So man schon weiß, was diese vier Buchstaben bedeuten.

Harald Fidler

"Lärm, der süchtig macht", schrieb die "Zeit". Der Virus der Balkanbläser ist gierig. Fanfare reicht ihm nicht. Rasch gelangt sein Wirt an jenen Punkt, an dem er noch, gesättigt vom Blech, eine letzte Ausfahrt erwischen kann. Wenn ihm nicht der Weltmeister über den Weg läuft. Boban Markovic heißt der. Und kommt auch ab und an nach Wien, natürlich ebenso in die Szene. Warum Weltmeister? Er hat, da allerdings werden die Quellen ein bisschen unpräzise, zumindest fünf Mal die Weltmeisterschaft der Blechbläser gewonnen. Wo gibt's sowas? Wir sind wieder bei den vier Buchstaben. Und ein paar Monate später in Guca.

Harald Fidler

Rund 200 Kilometer südlich von Belgrad, Region Dragacevo. Viel Wald, ansehnliche Hügel, gewundene Straßen, die unablässig nach dem passenden Motorrad rufen. Adrenalinji (so jedenfalls klingt es), nennen die jungen Serben vollverkleidete Renntausender, sagt Darko, der uns vom Flughafen erst einmal nach Belgrad gebracht hat. Die schon etwas in die Jahre gekommenen Pisten im Dragacevo verlangen freilich nach etwas gutmütigeren Fahrwerken. Gerade 4000 Einwohner zählt Guca 345 Tage im Jahr. Kirche, Friedhof, Kulturzentrum, Sportplatz.

Harald Fidler

Und eine weit überlebensgroße Truba am Ortseingang, wenn man von Cacak kommt - Truba heißt hier die Trompete. Das Instrument lässt die sonst ziemlich überschaubare Gemeinde einmal pro Jahr, in der ersten Woche des August, schlagartig auf ein paar Hunderttausend Bewohner anschwellen. Wenn es um den Weltmeister geht. Um die Zlatna Truba, die goldene Trompete. Klingt etwas profan. Aber nicht für Serben. Und gar nicht so wenige Wahnsinnige from abroad.

Herwig zum Beispiel, im Brotberuf Leiter eines österreichischen Buchverlags. Nachtzug nach Belgrad, mit dem Bus über Cacak nach Guca. Dort hat er auch einen reichlich betagten Ami mit seiner Enkelin getroffen. Die Gehbehinderung und der Rollstuhl haben den Mann nicht davon abgehalten, aus Austin, Texas, anzureisen. Reichlich Franzosen hat es hinter diese Hügel verschlagen. Was Wunder: Freitagabend dürfen Bands aus dem Ausland auf die Bühne des Stadions. Natürlich außer Konkurrenz, wer kann schon jenseits Serbiens einen echten Kolo blasen oder einen Cocek?

Harald Fidler

Brauchen sie nicht. Aber woher kennen wir bloß die Eröffnung der ersten von gleich zwei großen Formationen aus Frankreich? "Gimme, gimme, gimme"... Ja, Abba, arg, stimmt schon. A aber hier und jetzt ein paar Quantensprünge besser als das Original. Der Regen leert das Stadion nicht. Erst die Freunde aus Slowenien, die in Großkapellenstärke tatsächlich unerbittlich Märsche blasen.

Harald Fidler

Mit Märschen, jedenfalls Militärmusik kam die Trompete nach Dragacevo. Die braucht hier heute keiner mehr. Noten schon gar nicht: drei Finger auf den Ventilen reichen für tausend Töne. Frei von Pathos ist hier wenig. Fejad Sejdic, einer der zahllosen Gewinner des Bewerbes, wird hier gerne zitiert mit: "Wenn wir vom Blatt spielten, wozu bräuchten wir dann eine Seele?" Ivan, unser Wegweiser durch das serbische Gemüt, verortet die Trompete gleich in seinem Herzen. Auch wenn er sich selbst nur einmal, spät am Abend, nach viel Bier und Rakija, an dem Instrument versucht hat.

Harald Fidler

Sein Insidertipp: "Dim" sagen, das serbische Wort für Rauch, und mit dem "m" ohne nochmals einzuatmen die Trompete ansetzen und blasen. Vergessen wir die Technik: Um Herz, Seele geht es hier, haben wir gelernt, um Gefühl und Gemeinschaft.

Harald Fidler

Gefühle zeigen hier nicht nur ihre schönsten Seiten. Vor allem, wenn neben dem Blech auch Bier und Ballermann sie befördern. Guca ist ein Wettstreit der Blechbläser, in dem Universitätsprofessoren Authentizität und Können bewerten. Doch Guca ist ebenso ein für die abgelegene Region gewaltiger Jahrmarkt mit Lunapark, brüllend laut auch ohne Verstärker, ein Umschlagplatz für Unmengen gegrillten Fleisches, Apatinsko Pivo, Gußeisenöfen, Hüte und Trachten, sogar Autos, Jalousien und Fertigparkett, Plastikramsch, Fahnen und viele, viele T-Shirts. Auch solche mit Konterfeis von Kriegsverbrechern wie Radovan Karadzcic.

Harald Fidler

Doch bei allen Schattierungen zwischen Patriotismus und Nationalismus - und bei den vielen, vielen Bieren - ein ausnehmend friedliches Festival. Auch wenn Serben hier gerne die Statue des Trompeters erklimmen und grölend die Nationalflagge schwenken. Friedlich auch, wenn man mal vom ohrenbetäubenden Getöse absieht. Vom "Weckruf für die Trompeter" mit drei Böllerschüssen um sieben (sieben!) Uhr früh bis zu den unzähligen Bands, die bis in die Nacht von Bierzelt zu Bierzelt ziehen. Auch drei oder vier Gruppen gleichzeitig in einem gar nicht so großen Zelt.

Harald Fidler

Unter dreimal pro Stunde "Kalaschnikoff" - funktioniert bei jungen Serben ähnlich wie Grönemeyers "Alkohol" beim deutschsprachigen Nachwuchs - und anderen bekannte Blechhadern mit etwas freundlicheren Titeln tut's Guca nicht.

Harald Fidler

Ziemlich exakt in der Mitte dieser großen, lärmenden Blechblase vermietet Olga privat das eine oder andere Zimmer. Das einzige Hotel am Platz - heißt natürlich Zlatna Truba - ist Monate vor dem Festival ausgebucht. Billig sind in Serbien übrigens selbst Privatquartiere nicht. Das macht den Park- oft auch gleich zum Campingplatz mit teils durchaus originellen Zeltplätzen auf dem R4-Dachträger. Bei Olga ist mehr als wohnen. Wann immer du aus den überfüllten Straßen in ihren Vorgarten flüchtest:

Harald Fidler

Mal bewirtet sie ein Fernsehteam mit "Kaffu" (Kaffee). Mal kommt jener Motorradpolizist auf ein schnelles Tässchen vorbei, der doch das eine oder andere Auto in den abgesperrten Ort bringen kann. Mal probt unter dem Nussbaum gleich vor dem Haus eine Band noch schnell vor dem Wettbewerb am Sonntagnachmittag.

Harald Fidler

Nachbarn schauen vorbei, Verwandtschaft. Hinten, kurz vor dem kleinen Schweinestall und dem Gewächshaus für Tomaten ("Paradeis", sagt auch Olga) noch "small business": So lange das Festival dauert, so lange bedrucken da hinten in der Hütte ein paar junge Männer T-Shirts. Man will ja möglichst nah am Kunden produzieren, beinahe on demand.

Harald Fidler

Eigentlicher Höhepunkt des Festivals ist Sonntagnachmittag, wenn gut 20 Blechbands im Stadion vor Publikum und Jury zum Contest antreten. Das Publikum zeigt schon leichte Ermüdungserscheinungen: Boban Markovic gab die Woche schon ein Konzert im Stadion (manche sprechen gar von zweien), die anderen Abende mangelte es - selbst bei strömendem Regen - auch nicht an Programm, dazwischen Brass Bands und Blechdisko in den Zelten, auf Tribünen.

Harald Fidler

Dazu ein paar Paraden und bemerkenswerte Nebenbewerbe: die schönste Tracht, die beste Nachwuchskapelle und vor allem: der Erfinder der blumigsten Trinksprüche.

Harald Fidler

Egal, einmal noch, und mit Gefühl: "Von Ovcar und Kablar" eröffnet stets den Wettbewerb, gemeinsam intoniert von allen 200 Mitgliedern der konkurrierendenden Bands. Von der Idee, die Böllerschüsse davor der Ordnungsnummer des Festivals anzupassen, kamen die Organisatoren inzwischen ab. Wir hielten 2005 immerhin schon bei der 45. Ausgabe. Schon fast eine Woche gefeiert? Wenn kümmert's: Immer wieder formieren sich im Publikum Kolo tanzende Gruppen, singen mit.

Harald Fidler

"Da vorne beim Kulturzentrum spielt gerade die Siegerband", ruft uns Ivan Sonntagabend in Olgas Vorgarten entgegen (Er meint: Warum seid Ihr nicht dort?). "Welche denn?" Weiß er jetzt auch nicht. Kann also nicht ganz so wichtig sein. Für die Siegerband natürlich. Aber Von der hören wir sicher noch.

Harald Fidler