Es scheint, gerade wenn die Vita und das Werk eines Künstlers besonders komplex und von Widersprüchen geprägt waren, besonders nahe liegend zu sein, wuchtige Grabsteininschriften zu meißeln. Tatsächlich ist das Halbdunkel, in dem sich Orson Welles gerne als mächtigen Schemen inszenierte, derart beunruhigend und zugleich - wie in Erinnerungen an große Magier - verführerisch, dass seine Biografen in diesem Echoraum ihre Stimmen besonders kräftig widerhallen ließen. Welles heute: Das ist, fast 20 Jahre nach seinem Tod am 9. Oktober 1985, weniger ein kompaktes Oeuvre, eine linear nachvollziehbare Biografie als vielmehr ein Gewirr von Stimmen, Fakten und Fiktionen, für das der Schauspieler, Regisseur und Autor mit der ihm eigenen Mythomanie die Grundlagen legte - egal, ob er am Ende in irgendwelche TV-Kameras "This is Orson Welles" raunte oder ob er am Rande irgendwelcher Partys und Swimmingpools in L. A. längst nicht mehr die Hauptrolle spielte, für die er permanent prädestiniert schien.
Liest man zum Beispiel über Welles' frühe, zwischen Varieté und Tourneetheater angesiedelte Selbstbehauptungsversuche in den frühen 30er-Jahren und hält diesen dann späte, nie fertig gestellte schadhafte Filmfragmente wie den zwischen 1957 und 1970 wiederholt in Anlauf genommenen Don Quijotte entgegen - dann präsentiert sich dieses Werk wie ein einziger konsequenter Flüchtigkeitsfehler, freilich in Großbuchstaben. Eine Camouflage, bei der man sich oft fragen mag: What's the point? Aber, und das ist der bittere Witz bei Welles, es gab mehrere Punkte in seinem Schaffen, in denen er die Versprechen, die er permanent gab, tatsächlich einlöste.
Einer dieser siedend heißen Punkte, von denen aus man Welles' Vorliebe für labyrinthische Verwirrspiele bis hinauf zum komödiantischen Filmessay F for Fake (1973) beständig neu deuten kann, war seine legendäre Radio-Adaption von H. G. Wells' Krieg der Welten. Der damals gerade 23-jährige, schon früh als Wunderkind gefeierte Regisseur war damit der vielleicht erste Mensch, der mit purer Fiktion, einer Invasion von Marsianern, eine nationale Panik hervorrief. Punkt zwei: Citizen Kane (1941), basierend auf der Vita des Medienmoguls William Hearst, ein - wie flapsige Hitlistenschreiber gerne jubeln - "bester Film aller Zeiten", zu seiner Zeit und bis in unsere Tage herauf jedenfalls stilbildend, sowohl was die Inszenierung amerikanischer Lebensläufe betrifft als auch in seiner frühen Vorwegnahme der (medialen) Auseinandersetzung mit modernen Medienstrukturen. Und: Als neben Erich von Stroheims Greed vielleicht prominentestes Beispiel eines gelungenen Versuchs, aus dem US-Studiosystem heraus Kritik an der kapitalistischen Massenkultur zu formulieren.
Wie Stroheim hat Welles sofort einen denkbar hohen Preis bezahlt. Das Misstrauen der Unterhaltungsindustrie war geweckt, wirklich bejubelt wurde Citizen Kane erst in den 50er-Jahren, schon das Folgeprojekt The Magnificent Ambersons trägt den Makel eines zerstörten bzw. verunmöglichten Meisterwerks. (Was im Übrigen, wie meistens bei Welles - siehe etwa die teilweise recht schadhafte Lady from Shanghai -, immer noch um Häuser besser ist als so mancher Kunstversuch "verlässlicherer" Regisseure.) Bleibt also noch, wie ein Ausbruchsversuch und Auftragsjob, eine dritte makellose Sternstunde: Orson Welles als Harry Lime in Carol Reeds The Third Man, den er mit seiner Aura dominiert.