Zur Person

Der 1950 in Bad Aussee geborene Jurist Manfred Nowak ist seit 1. Jänner 2004 UN-Sonderberichterstatter über Folter. Seine Fact-Finding-Mission in China ist für Ende November angesetzt.

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STANDARD: Wie beurteilen Sie die Lage von Häftlingen in China, werden Gefangene systematisch gefoltert?

Nowak: China war sicher ein Staat, in dem systematisch gefoltert wurde. In der Zwischenzeit muss man aber feststellen, dass sich einiges verbessert hat. Auf der rechtlichen Ebene wurde etwa formell die Folter abgeschafft, das Strafrecht reformiert. Trotzdem bekommen wir laufend Beschwerden, insbesondere von Anhängern der Falungong-Sekte (die in China Verboten ist, Anm. d. Red), die behaupten, gefoltert zu werden. Dabei soll es auch Todesfälle gegeben haben. Es wird meine Aufgabe sein, die Situation vor Ort zu prüfen.

STANDARD: Welche Befugnisse hat Ihnen die chinesische Regierung bei Ihrer Fact-Finding- Mission zugesagt?

Nowak: Prinzipiell war China schon länger bereit, die Foltervorwürfe überprüfen zu lassen. Aber Peking hat bisher Bedingungen gestellt, die wir nicht akzeptieren konnten. Im Bereich der Folter sind die wichtigsten Beweismittel die Menschen in der Haft. Es ist also notwendig, dass ich unangekündigt in alle Haftorte gehen kann und dass ich dort unter vier Augen mit den Häftlingen reden kann, ohne dass wir beobachtet oder abgehört werden. Das wurde uns nun von der chinesischen Regierung zugesagt.

STANDARD: Warum wurde der Besuch gerade jetzt erlaubt?

Nowak: Wenn man so viele Jahre verhandelt wie wir, dann wird der Druck immer größer. Zudem üben auch die EU und die USA Druck auf die chinesische Regierung aus, um im Zuge der wirtschaftlichen Liberalisierung mehr Menschenrechte zuzulassen. Und China hat selbst daran Interesse, sich nicht nur ökonomisch, sondern auch politisch zu öffnen.

STANDARD: Menschenrechtsorganisationen werfen der EU und den USA aber vor, heikle Themen mit dem Wirtschaftspartner China oft erst gar nicht anzusprechen.

Nowak: Beim Thema Folter glaube ich das weniger. Folter ist ja an sich nicht etwas, was im politischen Interesse der Staatsführungen steht, außer man hat es wirklich mit völligen Unrechtsregimes zu tun, zu denen China sicher nicht zählt. Es zeigt sich vor allem in vielen exsowjetischen Staaten, dass die politische Führung keinesfalls mehr daran interessiert ist zu foltern. Und trotzdem ist die Folter zum Teil noch systematisch, weil sie so stark im Polizeialltag und im Denken von Staatsanwälten akzeptiert wird. Mit diesem Problem kämpfen viele Staaten, gegen die es Foltervorwürfe gibt. Es ist eben sehr schwer, ein Rechtssystem zu ändern. Da müsste man wahrscheinlich alle Polizisten und Richter austauschen.

STANDARD: Nach dem Terror in London will Großbritannien verstärkt muslimische Extremisten abschieben. Sie haben das unlängst heftig kritisiert. Droht Gefahr, dass das Verbot, Menschen in Folterstaaten abzuschieben, umgangen wird?

Nowak: Ja. Ich habe Verständnis dafür, wenn stärkere Maßnahmen gegen potenzielle Terroristen gesetzt werden. Aber dann gibt es eine absolute Grenze, die nicht überschritten werden kann: Und wenn es sich um einen Serienmörder handelt, kann ich ihn trotzdem nicht in einen Staat abschieben, wo ihn ein ernstes Folterrisiko trifft. Im Fall von muslimischen Extremisten geht es aber oft um Abschiebungen in Länder, wo systematisch gefoltert wird. Die Fundamentalisten fallen in den arabischen Ländern zudem oft in die oberste Risikogruppe. Versuche wie jetzt in Großbritannien, sich über diplomatische Zusagen die Garantie zu holen, dass die abgeschobenen Menschen nicht gefoltert werden, sind wirkungslos und der falsche Weg. (DER STANDARD, Printausgabe, 6.9.2005)