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Philip Roth:
"Verschwörung gegen Amerika"
Aus dem Amerikanischen von Werner Schmitz. € 25,60,-/ 432 Seiten. Hanser, München 2005.

Foto: Archiv
Angst beherrscht diese Erinnerungen, eine ständige Angst. Natürlich hat jede Kindheit ihre Schrecken, doch ich frage mich, ob ich als Kind nicht weniger Angst gehabt hätte, wenn Lindbergh nicht Präsident gewesen oder ich nicht das Kind von Juden gewesen wäre."

Die Fragestellung, wie die Geschichte anders verlaufen wäre, würde man sich nicht mit historischen Fakten, sondern den Unwägbarkeiten der Eventualität auseinander setzen, beschäftigte im ausgehenden 20. Jahrhundert nicht nur Sciencefiction-Autoren wie Philip K. Dick (Das Orakel vom Berge), Robert Harris (Vaterland) und vor allem auch den in Deutschland jahrelang wegen "Verherrlichung nationalsozialistischen Gedankenguts" auf den Index jugendgefährdender Schriften gesetzten und jetzt wieder erhältlichen Roman Der stählerne Traum des US-amerikanischen Linksintellektuellen Norman Spinrad. Wobei Letztgenannter sein Werk, wie so oft in diesem Genre, allerdings eher als Satire denn als Verherrlichung einer verbotenen Ideologie anlegte, in der es ihm darum ging, geistige Parallelen zwischen Naziideologie und den abstrusen Gedankengebäuden mancher Sciencefiction-Autoren aufzuzeigen. In genannten Werken geht es allerdings auch darum, eine mögliche Weltgeschichte zu entwickeln, die sich fragt, wie unsere Welt aussehen würde, wenn Hitler und der Nationalsozialismus tatsächlich siegreich gewesen wären.

Auch Philip Roth, der große herzensgütige Sarkast der US-Literatur, hat sich schon einmal mit der berühmten Frage "Was wäre, wenn?" auseinander gesetzt und mittelbar auch mit Rassismus und Antisemitismus in seinem furiosen wie irrwitzigen politischen Schelmenstück Operation Shylock aus 1994. Dort propagiert ein vom Autor verzweifelt gesuchter Doppelgänger "Philip Roths" in Israel die sofortige Deportation aller Juden zurück in ihre Herkunftsländer.

Im Vorfeld der US-Wahlen aus dem November 2004 und angesichts des vor allem auch Bürgerrechte beschneidenden "Kriegs gegen den Terror" und damit eines wieder salonfähiger gewordenen Ressentiments und Rassismus gegenüber Minderheiten unter dem Deckmantel des in schlechten Zeiten überall gern bemühten "Heimat"-Begriffs legte Roth mit dem jetzt auch auf Deutsch vorliegenden The Plot Against America allerdings noch eine Schaufel nach.

Wie gewohnt ausgehend von seinem nächsten familiären Umfeld, erzählt hier ein 72-jähriger "Philip Roth" Kindheits- und Familienerinnerungen aus den 40er-Jahren des 20. Jahrhunderts. Und er entwirft eine mit den Augen eines Kindes gesehene Welt, in der der berühmte Atlantikflieger und amerikanische Volksheld Charles Lindbergh 1940 als republikanischer Gegenkandidat zum "Kriegstreiber" Franklin D. Roosevelt mit den Mitteln demokratischer Wahlen, also sozusagen vom amerikanischen Wähler gewollt, vordergründig wegen der Rettung des Friedens ein faschistisches Staatssystem errichtet. Das soll die Vereinigten Staaten bald innerstaatlich an den Rand des Chaos führen.

Lindbergh spricht sich in einer isolationistischen Wahlkampagne gegen eine Kriegsbeteiligung der USA gegen Hitler aus. Ja, er schließt als "amerikanischer Patriot", der das Fortkommen seiner Heimat über das Elend der Welt stellt, mit dem deutschen Tyrannen gar einen Nichtangriffspakt. Und er baut nebenbei mit Hitler eine neue Weltordnung, geteilt in Ost und West. Als Gründe für den Unfrieden in der Welt ortet Lindbergh, übrigens historisch verbürgt, wie ein historischer Anhangteil im Roman zeigt, als überzeugter Antisemit den "ewigen Feind" im Juden. Das führt in den USA zu staatlich verordnetem Antisemitismus, der Beschneidung der Bürgerrechte, zu "Umsiedlungsprogrammen" und schließlich zur Gettoisierung der jüdischen Bürger.

Wie heißt es einmal in einer Schlüsselstelle: "Wer sagt, er sei Amerikaner, aber auch noch etwas anderes, ist kein Amerikaner. Wir haben nur Platz für eine Flagge." Roths Romanthese, dass das Böse als dem Menschen gegebene Möglichkeit natürlich auch in so genannte Zivilgesellschaften jederzeit einbrechen kann, so diese von außen nur ordentlich "bedroht" werden, ist ebenso provozierend wie schlüssig. Nicht umsonst sah sich Roth beim Erscheinen von The Plot Against America in den USA heftigen Angriffen der Rechten ausgesetzt. Schließlich drängen sich in dieser Verschwörung gegen Amerika nicht nur einmal deutliche Parallelen zu heutigen US-Befindlichkeiten bezüglich äußeren und inneren und möglicherweise auch nur imaginierten oder verordneten Feinden auf.

Anhand des Schicksals seiner durchaus nicht vollzählig wegen Lindbergh traumatisierten Familie (immerhin gibt es für Juden ja auch freiwillige, integrative "Arbeitsprogramme") entwirft Roth also hier einen zumindest bis zum letzten Teil des Romans durchaus glaubwürdigen Albtraum. In den kann eine Bürgergesellschaft schlittern, wenn man ihr die schöne Maske der Zivilisation von der Fratze reißt. Während nur zweier Jahre ist schließlich aus einer bescheidenen kleinbürgerlichen jüdischen Idylle in Newark bei New York heraus der Sündenfall einer ganzen Nation erklärt.

Allerdings droht Roth, in allzu detaillierten Schilderungen von Nebenaspekten der Familiengeschicke oft den Faden zu verlieren. Und er verweigert meist an der erzählerischen Oberfläche bleibend auch weit gehende Deutungs- und Reflexionsversuche. Immerhin fungiert als Erzähler ja auch ein 72-jähriger "Philip Roth". Der versucht, die erinnerte Geschichte als alter Mann mit den Augen eines Kindes, also "naiv" zu erzählen. Und er scheitert hier bisweilen ebenso, wie schließlich etwas lustlos entworfene Verschwörungstheorien alles zu einem guten Ende, aber mit Schrecken führen. (ALBUM/ DER STANDARD, Printausgabe, 27./28.08.2005)