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Tobias Moretti als Primislaus Ottokar (Vordergrund) und Michael Maertens als Rudolf von Österreich

Foto: AP/Joensson

Hallein – Die keineswegs erhebende Wahrheit über diesen Ottokar Przemysl (Tobias Moretti), der in Martin Kusejs Grillparzer-Inszenierung auf der Halleiner Perner-Insel von der Motorhaube eines VWs in den Dreck stürzt, sich als lehmgebackener König noch einmal aus dem Elend hochrafft und am Inszenierungsende von seinem Widersacher Rudolf von Habsburg wie ein Stück Vieh hochgezogen wird, liegt in der Vorgeschichte.

Im Halbdunkel der von Martin Zehetgruber öfter schockgefrorenen Bühne nähert sich dem Thronsesselkleber von hinten eine auf Pumps stöckelnde Mädchenerscheinung. Berta von Rosenberg (Sabine Haupt) liebkost den Gekrönten, ehe sie sich auf ihn setzt und ihm (und hörbar sich selbst) eine Freude bereitet, die beiden Ausprägungen ein und desselben Prinzips zugedacht ist: natürlich dem Privatmann Ottokar, der sich umso verbissener an die blattgoldenen Armlehnen festkrallt, je länger ihm die eigenen Böhmen und der näselnde Habsburger Rudolf (Michael Maertens) absehbar zusetzen.

Vor allem aber ist Bertas Zärtlichkeit, die sie, die sitzen gelassene Braut, mit dem losbrechenden Wahnsinn einer Moldau-Ophelia sofort luftschnappend büßen muss, einem König zugedacht, der von Herzen gut wäre – wenn man ihn nur ließe. Der sich im grellen Licht der Staatsräson nicht selbst gehört. Der sich im Gewühl der lustlos huldigenden Stände in Steirer-Jankern sofort abhanden kommt, als wäre er selbst ein Stück Seife, das ihm andauernd durch die Hand rutscht. Der rauer tönt, als er es meint, der schlimmer ätzt, als es ihm gut tut, der schwerzüngig Gutes plärrt und wirklich jeden Blödsinn schafft.

Weltbürgerkrieg

Kusej hegt für König Ottokars Glück und Ende ein geradezu schwefelbrennendes Interesse. Nur wer an Gründungsakte denkt, mit denen der mürrische Grillparzer den Habsburgern irgendwelche Ursprungsmythen hinterhergereicht haben soll, liegt hier grundsätzlich falsch.

Kusej, der wieder einmal seinen traumwandlerisch-sicheren Instinkt für extreme Bildwirkungen belegt, stuft das Geplänkel um habsburgische Reichshoheit und böhmischen Eigensinn zum Weltbürgerkriegsmassaker herunter: Er macht die dümmlich-brutalen Rosenbergs zu Business-Sakko-Monstern. Die bauchige Brutalität des Hofmannes Zawisch (Nicholas Ofczarek), der Ottokar die frisch vermählte Kunigunde als entwaffnend unverschämter Glückserotikspieler abspenstig macht, besitzt etwa den streng nach Gosse riechenden Zauber grobianischer, prämoderner – unpolitischer Verhältnisse.

Die Kriegsmanager, die, von Eisenkammertüren herausgespien, wie die wilde Jagd über den Rindenmulch querüber hetzen, setzen alle Verabredungen außer Kraft.

Geschwindigkeit ist mörderisch! Davon handelt Kusej, davon mag Grillparzer bereits zu Zeiten der Radetzky-Märsche – und des Einsetzens durchschlagender Artilleriewirkungen – eine leidende Ahnung besessen haben. Ab jetzt regiert nicht das Geld, sondern die Beschleunigung, mit der man Ideen breittritt, Absatzmärkte besetzt, Sonntagsreden porentief einseift. Das Reich erhält daher auch nicht Ottokar, der in Morettis glutäugiger, nachvollziehbarer Entgeisterung so gerne Napoleon wäre, obwohl er immer zu spät kommt: als Weltgeist zu Pferde, als Deckhengst im Bett. Als Lehensmann, der auf der Haube eines mit roter Demonstrationsschleife geschmückten Autos knien muss, um von Rudolf (Michael Maertens) die Lehen übertragen zu bekommen. Er sieht, mit entblößtem Hals, fast wie eine Rupfgans aus. Mit Maertens' Rudolf ist keine Nostalgie zu kreieren. Er stapft als Filialkassenleiter mit elastisch geölten Stimmbändern durch eine ihn anekelnde Welt. Er brät für die von Ottokar "befreiten" Österreicher, die ihm die Eisentüren einrennen, zwei schöne Schnitzel auf dem Campingkocher. Das Fleisch klopft er nicht, sondern züchtigt es mit dem Reichsschwert.

Er hält sich die Potentaten wie mit der Kneifzange vom Übergangsmantel und raunzt sich in einen staatsnotariellen Überschwang. Für ihn und sein Söhnchen singen, wenn wirklich alle tot sind, (falsche) Sängerknaben auf der weißen Galerie ein "In die Berg bin i gern". Am schwächsten werden Kusejs Anmerkungen am ehesten dann, wenn er die österreichischen Selbstverklemmungen zu höhnen meint. Aber wie viel mehr darf diese reiche, reife Politikmeditation, die auch einige Buhrufe davontrug, auf ihrer Haben-Seite verbuchen: eine Ungarn-Königin Kunigunde (Bibiana Beglau), die als seidenumwickeltes Raubtier mit angeklatschtem Haar in dieser Hölle aus Pressspankacheln nicht nur den Zawisch in einen Abgrund aus Lust und Depression hineinstürzt – hoch geschlitzt, den Verlust des als Pfand entrissenen Höschens als Salammbô der Party-Höfe kaschierend. Einen Ottokar von Horneck (Wolfgang Gasser), der den Österreich-Monolog als sonor-entfettete Grabesrede hält. Eine von Ottokar verscheuchte Königin Margarethe (Elisabeth Orth), die als Exilantin im Kunstwebpelz die Jackie-O.-Sonnenbrille wie eine Titelplakette zerbricht.

Eine unversöhnliche Produktion, die aus dem Off von einer Lars-von-Trier-Stimme als Katastrophen-Countdown eingezählt wird. Wahrhaft festspielwürdiges Theater: So etwas ist heute ein Triumph. (Ronald Pohl/DER STANDARD, Print-Ausgabe, 10. 8. 2005)