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Sunny Melles und Christian Friedel in Ödon von Horvaths 'Geschichten aus dem Wienerwald'

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Nina Hoss als 'Buhlschaft'

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Der unabweislichen Tatsache zufolge, dass wir Menschen zwar zum Leben verdammt, ganz gewiss aber zum Tode verurteilt sind, findet in den schmalen Salzburger Gassen alljährlich zur Festspielzeit ein schleichender Austausch statt. Prominente von unterschiedlichem Nützlichkeitsgrad für die Allgemeinheit, geeint aber durch den guten Willen, das barock-katholische Repräsentationsbedürfnis durch einen unentgeltlichen Dienst an der Schaulust zu befriedigen, nehmen mit fröhlicher Entschlossenheit das Kreuz der Endlichkeit auf sich.

Buhlschaften wie die unverschwitzt neusachliche der Nina Hoss werden gefeiert, weil allein an ihrer Schönheit die Anfechtung durch die Zeitlichkeit und die kurzzeitige Zurückweisung dieser Zumutung als Triumph wider alle Vernunft erfahrbar wird. Jedermann-Darsteller wie der rabauzig-ergraute Peter Simonischek bevölkern zwanglos die Salzburger Buffetrampen und Empfangsstiegen, weil ihr saisonaler Lebensvollzug einem allerletzten blinden Aufbegehren gleicht: Inmitten ihrer Todesverfallenheit lechzen die (privilegierten) Menschen noch einmal nach der auftrumpfenden Bestätigung der Erkenntnis, für sich selbst und sonst niemand anderen da zu sein.

Lust am Laster

Die aufgekratzte, geradezu verbissene Daseinsfeier der Industrieeliten in Dirndlkleidern - in Kittelschürzen, die zwar niemals eine Alm gesehen haben, dafür aber den Naturzusammenhang von "Schlichtheit" und "Natürlichkeit" verbürgen helfen - ist somit als Ausfluss einer absichtsvoll entgleisten und einiges Kopfzerbrechen bereitenden Hofmannsthal-Lektüre zu verstehen.

Denn den liederlichen Tafelgenüssen des Jedermann und seiner Gesellen wird in den Spargelspitzenzupfereien der Gastronomie eine Art letztmögliche Verfeinerung zuteil. Nur wer gesund lebt, kann den Zeitpunkt seines natürlichen Ablebens beliebig hinauszögern. Nur wer sich seiner Präsenz im Blitzlichtregen der Society-Presse versichert, weist die Anfechtung durch den Tod als Zumutung zur Unzeit weit von sich. Ob es, wie im Jedermann, wirklich einen verzeihenden, gnadenreichen Gott gibt, wird sich nolens volens dann schon noch erwiesen. Kein Wunder, dass etwa die Schauspieler im halbbewussten Eingedenken dieser nicht immer tröstlichen Tatsache die sublimsten Umformungen an sich selbst vornehmen. Wer etwa die elfenhaft attraktive Fürstengemahlin Sunnyi Melles in Horváths Geschichten aus dem Wiener Wald gesehen hat, wie sie der groben Figur der Trafikantin Valerie einen gleichsam porzellanenen Überzug gewährt, wie sie die überschnappende Liebessehnsucht einer im Elend Verblühten mit Gold- und Lavendeltönen lasiert, der versteht intuitiv etwas vom Geheimnis des barocken Salzburger Schmelzofens.

Zur vollen Wirkung gelangt Frau Melles' Kunststück erst im Wissen um ihre lebendige Existenz. Nichts bezeichnender als das Getuschel im Salzburger Landestheater, als Melles völlig unanfechtbar aus einer Bühnentür gestöckelt kam - und ihre guten Bekannten im Parkett sehnsuchtsvoll zu raunen anhoben: "Schau nur, die Sunnyi! Was ist sie noch immer schön . . ." (DER STANDARD, Printausgabe, 30./31.07.2005)