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Die Kirche fühlt sich nach wie vor dem Männlichen verpflichtet.
Foto: Reuters/KAMAL KISHORE

"Welche Erwartungen stellt die Jugend an die Kirche der Zukunft?", wagte sich Moderatorin Bettina Reicher zur Einleitung des SchülerInnen-Talks in St. Pölten im Rahmen des STANDARD-Jugendprojekts auf theologisches Glatteis. Zum Thema "Religion und Kirche" bildeten Gerhard Reitzinger, Leiter des Priesterseminars St. Pölten, Pastoraltheologe Paul Zulehner und Integrationsbeauftragter der muslimischen Gemeinde Österreichs Omar Al-Rawi eine multireligiöse Runde in der "Bühne im Hof".

"Ich habe keine Nähe zur Kirche und fühle mich nicht angesprochen, würde mir aber mehr Kontakt wünschen", klagte Lea Wanke (14). Die jungen DiskutantInnen kritisierten eingeschlafene Gottesdienste und distanzierte Pfarrer - dadurch würden sie sich von der Kirche ausgeschlossen fühlen. "Ihr müsst euch selbst eine Kirche organisieren, die euch interessiert", entgegnete Zulehner. Diplomatisch schaltete sich Reitzinger ein: "Nähe ist nicht institutionell zu verstehen."

Es gelte, junge Menschen ein Stück ihres Weges zu begleiten. Priester müssten auf Jugendliche zugehen, Reitzingers Erfolgsrezept: Schulbesuche. So sei "persönlicher Kontakt und Nähe" gegeben. "Priester haben keine Ahnung vom Umgang mit Jugendlichen", meinte Christina Eckert (14). Einerseits würden sie ihnen oft zu nahe treten, andererseits fühle man sich als Jugendlicher von manchen Pfarrern "wie abgekanzelt". Gegenteilig berichtete Al-Rawi von der Begeisterung an Tagen der "Offenen Moschee", wo der Tenor der Besucher laute: "Hier ist es warm, ich bekomme zu essen, hierher komme ich zurück."

Kirche ist SeniorInnenclub

Demgegenüber mangelt es den Jugendlichen in der katholischen Kirche an Heimeligkeit. Besonders die Raumtemperaturen auf Sparflamme und die mangelnde Mitbestimmungsmöglichkeit wurden kritisiert. "Die meisten Pfarrgemeinden sind Seniorenclubs", gestand Zulehner den hohen Altersschnitt von Gläubigen und Priestern ein. Es gelte den Priesterberuf attraktiver zu machen. Geht es nach den SchülerInnen, kann das nur durch eine "Abschaffung des realitätsfremden Zölibats" geschehen. Zulehner präsentierte seine Vermarktungsstrategie der Ehelosigkeit: "No risk, no fun." Sein Festhalten am Zölibat sei "total freiwillig. Nur ein unverheirateter Priester kann sich voll seiner Jungschar widmen." "Dann müsste man den Zölibat auch für Politiker einführen", scherzte Al-Rawi, der in der SPÖ tätig ist.

"Frauen als Priesterinnen oder Päpstinnen, warum nicht?"

... brachte Lea die Gleichberechtigung aufs Tapet. "Es ist eine festverankerte Tradition, dass das göttliche Wesen männlich gedacht wird", schottete sich Zulehner von der Vision mit historischem Fundament ab. "In der evangelischen Kirche gibt es weibliche Priester", hielt Gabriel Platzer (16) entgegen. In Lettland würden die Pastorinnen wieder abgeschafft, untermauerte Zulehner seine Ansicht, räumte aber ein, dass sich Westeuropa in Richtung Frauenpriestertum bewege. Ob es bis 2025 katholische Priesterinnen geben werde, fragten die SchülerInnen hartnäckig weiter. "Werden Priesterinnen zugelassen, spaltet sich die Kirche", berief sich Zulehner auf ExpertInnen. Erst auf abermaliges Nachhaken der Moderatorin kam ein ernüchterndes "Nein" beider Katholiken zur Forderung "Priesterinnen bis 2025". Reitzinger begründete: "Dafür ist die Kultur zu langsam", und enthob sich seiner Zuständigkeit: "Sehr viel ist möglich, man muss es nur verwirklichen." Er fände es revolutionär, wenn Jugendliche zusammen die Veränderung einleiten würden.

Modernisierungsbedarf sahen die jungen DiskutantInnen auch bei der katholischen Beichte. "Erfüllen nicht Therapeutengespräche dieselbe Aufgabe?", zweifelte Gabriel die Sinnhaftigkeit der Aussprache an. Bei der Beichte gehe es um Zuspruch und der Bestätigung, eine Versöhnungsmöglichkeit zu bekommen, entgegnete Reitzinger. "Im religiösen Bereich kann ein Therapeut nicht weiterhelfen", schloss Al-Rawi an. So biete Religion eine Mystik und Spiritualität, die sich nirgendwo sonst finden ließe.

"Gott ist nicht institutionalisierbar", hielt Gabriel fest. Es müssten neue Strukturen geschaffen werden, bekannte auch Al-Rawi, "weg von der religiösen Mitgliedschaft, hin zu Interessenvereinigungen". Es sei die Aufgabe von Glaubensgemeinschaften, Akzente betreffend Wirtschaftsethik, sozialer Gerechtigkeit und globalen Friedensbewegungen zu setzen. Als Vision für die Zukunft wünschte sich Katharina Grasl (14), dass die Kirche künftig ihre Macht richtig einsetze, beispielsweise zur Verhütung in Aids-Gebieten anrege und Kondome nicht dämonisiere.

Einen Schritt weiter ging Kathrin Fink (16) indem sie das Abtreibungsverbot massiv hinterfragte. Zulehner wurde laut: "Leben ist immer zu schützen, ohne Ausnahmen." Manchen SchülerInnen zu weit ausholend spannte er einen Vergleich von Abtreibung zu Sterbehilfe: "Jeder Mensch will an der Hand eines Menschen sterben, nicht durch die Hand eines Menschen". Frauen würden generell von der Kirche alleine gelassen, holte eine Besucherin den Theologen von seinem Euthanasie-Exkurs zurück. Zuerst sei man gegen Abtreibung, aber wenn das Kind da ist, werde nicht geholfen. Auf die Frage, was er einer werdenden Mutter rät, die wegen finanzieller Not eine Abtreibung will, meinte Zulehner: "Es müssen die Umstände geändert und eine Gesellschaft geschaffen werden, in der es solche Fälle nicht gibt." Außerdem versprach er großzügig: "Da greife ich auf mein persönliches Bankkonto zu, um der Frau zu helfen."

Fristenlösung im Islam

Auch im Islam habe der Schutz des Lebens oberste Priorität, fügte Al-Rawi hinzu. Obwohl dem Fötus nach muslimischem Glauben erst nach 125 Tagen die Seele eingehaucht wird, darf bis dahin nur in Extremfällen - wie einer Vergewaltigung - abgetrieben werden. Einen anderen Aspekt rechtlicher Zugeständnisse an Frauen im Islam warf Sibylle Brunner (17) ein: "Wie freiwillig wird das Kopftuch getragen?" Für Al-Rawi nicht generalisierbar, gebe es verschiedenste Motive. "Und wie denken Sie über Frauen ohne Kopftuch?", hackte die Schülerin nach. "Ich beurteile einen Menschen nicht nach dem, was er auf dem Kopf trägt, sondern, was im Kopf ist", stellte Al-Rawi klar. Das Bestehen aller Glaubensgemeinschaften nebeneinander in Toleranz ohne Einheitsbrei, beschrieb er als seine Vision. Dem entgegengesetzt wünschte sich Gabriel die Vereinigung aller Religionen: "Sonst wird es nie Weltfrieden geben." Christoph Stich (16) hob heraus, dass die Sicht der katholischen Kirche, "ihr Glaube ist der einzig Richtige", falsch sei. "Jeder hält den eigenen Glauben für den richtigen", meinte Al-Rawi. Die Herausforderung liege darin, trotzdem jeden anderen Glauben zu tolerieren. "Die Vielfalt der Hautfarben und Glaubensgemeinschaften muss als gottgewollt anerkannt werden." (DER STANDARD, Printausgabe 27.07.2005)